Braucht Österreich Freihandels­abkommen?

Wie sinnvoll sind die internationalen Abkommen wirklich? Marie Kondo hat die Anwort für uns.


Wer diesen Beitrag lesen sollte:

  • Wirtschaftseinsteiger:innen
  • Problemlöser:innen

Lesedauer:

5 Minuten

AutorIn: Florian Streb

Braucht Österreich Freihandelsabkommen? i
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Wir misten aus und finden ... ein Handelsabkommen. Sollen wir es aufheben oder wegwerfen? Um das zu entscheiden, stellen wir die gleichen Fragen wie beim Frühjahrsputz.

"Wir", das sind in diesem Fall alle Österreicherinnen und Österreicher. Und wenn wir aus dem Bauch heraus entscheiden müssten, würden wir den Wisch wahrscheinlich einfach kübeln. Immerhin war Österreich schon "Anti-TTIP-Europameister", nur etwa jeder Zehnte konnte sich mit CETA anfreunden, und die Skepsis gegenüber Handelsabkommen an sich ist bei uns deutlich größer als im EU-Durchschnitt, wie vor rund einem Jahr ein Sonder-Eurobarometer gezeigt hat.

Gut oder böse?

Aber gehen wir die Sache doch ein bisschen systematischer an und entscheiden nicht nur aus dem Bauch. "Bereitet es Ihnen Freude?", würde Marie Kondo fragen. "Na sicher, sonst hätte ich keinen Job!", könnten jetzt viele sagen – sehr, sehr viele, denn fast jeder zweite Arbeitsplatz in Österreich hängt direkt oder indirekt von der Exportwirtschaft ab. Aber so einfach ist die Antwort nicht: Auch wenn ein Land insgesamt vom Freihandel profitiert, gibt es Globalisierungsverlierer – besonders Menschen mit geringer Qualifikation. Das ist keine neue Erkenntnis, sondern eine zentrale Theorie der Außenwirtschaftslehre. Mittlerweile haben selbst die größten Freihandelsverfechter das Problem erkannt. Ist das ein Grund, das Abkommen in den Mist zu werfen? Nein – immerhin reduziert Freihandel in Summe die Arbeitslosigkeit, hebt die Lebenserwartung und hilft Milliarden aus der Armut – man darf nur nicht auf die Verlierer vergessen.

Tag für Tag nützlich

Während wir das Freihandelsabkommen schon zurück ins Regal stellen wollen, flüstert uns Marie Kondo ins Ohr: "Aber haben Sie es in den letzten 12 Monaten benutzt?" Das können wir zum Glück mit ja beantworten: Sogar täglich, immer wenn wir Waren aus Österreich ins Partnerland schicken oder importieren. Viele dieser Waren wären ohne das Abkommen für die Verbraucherinnen und Verbraucher teurer oder gar nicht erhältlich – denn Handelsabkommen regeln ja nicht nur Zölle, sondern auch gemeinsame Normen und Standards. Das ist wichtig, weil Staaten immer öfter sogenannte nichttarifäre Handelsbarrieren errichten: "Das wollen Sie bei uns verkaufen? Das müssen Sie erst zertifizieren lassen. Nein, das Zertifikat aus Österreich können wir nicht gelten lassen, egal ob der Test dort strenger ist oder nicht."

Durch den Freihandel – oder besser gesagt: durch Abkommen, die regeln, wann Staaten in den freien Warenverkehr eingreifen dürfen – ist Österreich in den letzten Jahrzehnten zu einem Top-Exportland aufgestiegen: Beim Pro-Kopf-Export von Waren liegt Österreich auf Platz 7 in der Weltrangliste. In absoluten Zahlen ist das Exportvolumen von 37 Milliarden Euro zum Zeitpunkt des EU-Beitritts auf zuletzt 154 Milliarden Euro pro Jahr gewachsen (mehr dazu im Außenhandelsbericht). 

Geht das nicht einfacher?

Also: Das Handelsabkommen kommt zurück ins Regal, wir misten weiter aus. Aber, oh Schreck: Da sind ja noch ein Haufen andere, ein ganzer Berg an Papier. Müssen wir die wirklich alle aufheben? Gibt es keine bessere Lösung? Nun ja: Theoretisch schon. Man könnte einen Verein gründen, in dem sich alle Länder versammeln, die Freihandel betreiben wollen, und ein gemeinsames Regelwerk schreiben. Und den Verein nennen wir … "Welthandelsorganisation"! Dem bauen wir ein schmuckes Hauptquartier in New York!

Aber in der Praxis läuft es leider nicht gerade rund in dem Verein. Nein, nicht wegen der Sache mit dem Hauptquartier, sondern wegen der Vereinsmeier. Die haben die Organisation im letzten Jahr völlig lahmgelegt, aber auch davor ging schon nix weiter. An einer Reform oder Weiterentwicklung bastelt die World Trade Organization (WTO) seit fast 20 Jahren ohne Ergebnis. Die Folge: Immer mehr bilaterale Handelsverträge. Das heißt: Mit unserem Berg Papier müssen wir wohl noch eine Weile leben.