"Wir müssen lernen, Algorithmen zu verstehen"

Algorithmisches Denken ist mittlerweile so wichtig wie Lesen und Schreiben, sagt Jörg Dräger.


Wer diesen Beitrag lesen sollte:

  • Wissenshungrige
  • Digital Pioneers

Lesedauer:

5 Minuten

AutorIn: Jörg Dräger

Dr. Jörg Dräger i
Besim Mazhiqi

Künstliche Intelligenz spielt eine immer größere Rolle in immer mehr Lebensbereichen. Deshalb wird es immer wichtiger, dass in der breiten Bevölkerung ein Verständnis für die Funktionsweise von Algorithmen entsteht. Die Grundlagen dafür sollten bereits im Kindesalter gelegt werden, schreibt Jörg Dräger in seinem Gastbeitrag für unseren Blog.

Ob bei Geldanlagen oder der Versicherung, bei der Jobsuche oder Polizeiarbeit, beim Internet-Shopping oder Online-Dating – in immer mehr Bereichen unseres Lebens spielen algorithmische Systeme und künstliche Intelligenz eine wichtige Rolle. So wie der Buchdruck die Alphabetisierung brauchte, muss daher mit den Algorithmen auch eine in der Bevölkerung breit verankerte Algorithmic Literacy einhergehen: Unabhängig von Bildungsstand und Beruf sollten alle Bürger:innen in der Lage sein, den Einsatz algorithmischer Systeme zu erkennen, kompetent mit ihnen umzugehen und sich gegebenenfalls gegen fragwürdige Anwendungen zu wehren.

Das bedeutet nicht, dass wir alle lernen müssen zu programmieren. Das bleibt auch in der digitalisierten Arbeitswelt ein Job für Spezialisten. Notwendig ist vielmehr ein Verständnis für die fundamentalen Mechanismen. Deshalb sollte schon die Schule algorithmisches Denken vermitteln. Nur wer zumindest grob versteht, wie reale Zusammenhänge in mathematische Formeln übersetzt werden, welche Konzepte hinter Computerprogrammen liegen und welch unterschiedliche Qualität Daten haben können, kann die Wirkung von Algorithmen bewerten.

Die Grammatik unserer digitalen Gesellschaft

Wer schon als Kind mithilfe einer simplen visuellen Programmiersprache einem Roboter etwas beigebracht hat, begreift besser, dass wir Menschen die Maschinen kontrollieren und nicht umgekehrt. Wer hingegen Software nur passiv nutzt, wer neue Medien also nur konsumiert, dem bleibt die Logik des Digitalen verschlossen. Algorithmisches Denken ist gewissermaßen die Grammatik unserer digitalen Gesellschaft: Man braucht sie nicht nur, um eine bestimmte Sprache besser zu sprechen, sondern vor allem, um die Struktur des Gesamtsystems zu verstehen.

Großbritannien hat als eines der ersten Länder konkrete Schritte beschlossen, um Computational Thinking systematisch in den Lehrplänen der Schulen zu verankern und die Informatiklehrer dafür weiterzubilden. Auch in den USA entstehen einzelne Leuchtturmprojekte, die Kindern auf spielerische Art die Funktionsweise von Robotern und Software näherbringen sollen. Das lässt sowohl Vertrauen als auch eine gesunde Skepsis im Umgang mit Digitaltechnologien wachsen.

Dass alle Bürger:innen ein algorithmisches Grundverständnis brauchen, rechtfertigt auch die Einrichtung einer öffentlichen Institution zur Förderung algorithmischer Kompetenz. Ähnlich wie in Deutschland die Bundeszentralen für politische Bildung oder für gesundheitliche Aufklärung, könnte eine solche Institution den gesellschaftlichen Diskurs anregen und die digitale Souveränität stärken. Das würde helfen, die derzeitige Polarisierung zwischen Verheißungs- und Horrorszenarien zu überwinden und uns alle Verantwortung übernehmen zu lassen – für eine umsichtige, chancenorientierte Nutzung von Algorithmen.

Dieser Beitrag basiert auf einem stark gekürzten und adaptierten Auszug des Kapitels „Wissen wirkt Wunder“ aus dem Buch von Jörg Dräger und Ralph Müller-Eiselt „Wir und die intelligenten Maschinen - Wie Algorithmen unser Leben bestimmen und wir sie für uns nutzen können“ (DVA 2019, 272 Seiten).