Um bei der Europameisterschaft der Berufe ganz an die Spitze zu kommen, müssen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer möglichst viele Punkte sammeln. Aber wie funktioniert die Punktevergabe eigentlich und worauf kommt es bei den Bewerben an? Ein Blick hinter die Kulissen.
Spannung liegt in der Luft. Nur noch wenige Sekunden bis zum großen Finale. Das Publikum zählt den Countdown ein: „Ten, nine, eight ...“ Die Kandidatin blickt prüfend auf ihr Werk. Mit einem feinen Pinsel und schwarzer Farbe zieht sie noch rasch einen schmalen Querbalken an der Wand nach. „… seven, six, five, four …“ Sie nimmt noch einmal Farbe auf und setzt den Pinsel ein Stück weiter oben neuerlich an. „… three, two, one …“ Aus! Applaus brandet auf. Die Kandidatin hebt die Hände, erschöpft blickt sie zu Boden. Dann dreht sie sich Richtung Publikum. Sie lächelt. Anfangs zaghaft, dann strahlt sie über das ganze Gesicht. Kein Wunder: Sie hat es geschafft! Drei anstrengende Wettkampftage liegen hinter ihr und jetzt bleibt ihr nur noch zu hoffen, dass die Juroren ihre Leistung auch zu würdigen wissen und mit möglichst vielen Punkten bewerten.
"Je mehr Punkte, umso besser"
Aber was sind möglichst viele Punkte? Wie viele Punkte kann jeder der 400 Bewerber aus mehr als 30 Ländern bei „EuroSkills“ sammeln? Und wie viele Punkte sollte man erreichen, um ganz vorne dabei zu sein? Wir fragen Gerhard Zechner, der als Technical Delegate bei „SkillsAustria“ mit dem Wertungssystem bei „EuroSkills“ bestens vertraut ist. „Für die Punktevergabe sind alleine die Juryteams zuständig. Abhängig von der Anzahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer gibt es bei allen Bewerben mehrere Juryteams, die aus je drei Mitgliedern bestehen und sich jeweils auf bestimmte Wertungskriterien konzentrieren. Insgesamt können sie gemeinsam pro Teilnehmerin oder Teilnehmer maximal 100 Punkte vergeben, wobei gilt: Je mehr Punkte, umso besser.“
Moment, reicht das von den Berufsweltmeisterschaften „WorldSkills“ bekannte und auch bei „EuroSkills“ angewandte Competition Information System (CIS) nicht deutlich höher? „Das ist richtig“, sagt Gerhard Zechner. „Die von der Jury vergebenen Punkte werden anhand einer Medianformel auf die CIS-Bewertung hochrechnet. Dabei wird der Teilnehmer, der in der Jurywertung genau in der Mitte des Teilnehmerfelds gelandet ist, auf 700 Punkte gesetzt und die anderen Teilnehmer werden abhängig von ihrer Leistung darüber und darunter gereiht. Die Punktespanne liegt dann schlussendlich meist bei 600 bis 800 Punkten, wobei auch Ausreißer nach oben und nach unten möglich sind. Alle Teilnehmer*innen, die zumindest 700 Punkte erreichen und nicht in den Medaillenrängen liegen, erhalten die Auszeichnung ,Medallion for Excellence‘.“
Vergleichbarkeit über Berufsgruppen als Ziel
Klingt kompliziert und ist es auch, soll aber die unterschiedlichen Berufe besser vergleichbar machen, wie Zechner weiter erklärt: „Angenommen, die Gartengestalter oder die Bautischler bekommen sehr schwere Aufgabenstellungen, dann ist die Wahrscheinlichkeit eines Fehlers und damit auch eines Punkteabzugs größer als bei anderen Berufen, die vielleicht eine leichtere Aufgabenstellung bekommen. Die Jurywertung wird daher geringer ausfallen, obwohl die Leistung möglicherweise gleich gut oder sogar besser war. Das über Jahre entwickelte und stets optimierte CIS-Punktesystem versucht diesen Schwankungen in der Aufgabenstellung gerecht zu werden, um die Leistungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu objektivieren und über die Berufe hinweg vergleichbar zu machen.“
EuroSkills - Die Europameisterschaft der Berufe
Das Mega-Event "EuroSkills" findet seit 2008 alle zwei Jahre in einem der Mitgliedsländer statt, zuletzt 2018 in Budapest. Die für 2020 geplante Veranstaltung in Graz musste Corona-bedingt auf heuer verschoben werden. Von 22. bis 26. September werden im Schwarzl Freizeitzentrum in Graz rund 400 junge und fertig ausgebildete Fachkräfte aus den Berufsgruppen Industrie, Handwerk und Dienstleistung aufeinandertreffen und um Edelmetall kämpfen, die Bewerbe selbst finden von 23. bis 25. September statt. In den vergangenen Jahren konnten die österreichischen Fachkräfte dabei große Erfolge erzielen: Mit insgesamt 111 Medaillen liegt Österreich im "EuroSkills"-Medaillenranking auf Platz 1.
Und das ist gar nicht so einfach, wenn man auf die vielen Bewerbe blickt, die bei „EuroSkills“ in Graz ausgetragen werden. In 48 Disziplinen – 38 Berufe und zehn Präsentationsberufe – wird von 23. bis 25. September im Schwarzl Freizeitzentrum programmiert, frisiert, gemalt, gekocht, serviert und an Maschinen geschraubt, was das Zeug hält und was die Aufgabenstellungen von den Teilnehmerinnen und Teilnehmer verlangen. Während es bei den Maurern beispielsweise darum geht, unterschiedliche Mauerwerke zu errichten und mit Maßgenauigkeit, einem einheitlichen Fugenbild und Schnelligkeit in der Umsetzung zu punkten, müssen die Restaurantfachkräfte etwa Spirituosen richtig zuordnen, Tische decken und dekorieren, Wein dekantieren und Speisen tranchieren oder flambieren.
Fingerspitzengefühl und Präzision gefragt
Bei den Mechatronikern wiederum geht es darum automatisierte Anlagen zu errichten, zu programmieren und in Betrieb zu nehmen, wie Simon Aschmüller von der ÖBB Infrastruktur AG erklärt. Aschmüller ist bei „EuroSkills“ in Graz als Trainer und Experte des österreichischen Teams mit dabei und weiß: „Die Aufgaben erfordern von den Teilnehmerinnen und Teilnehmer Fingerspitzengefühl und Präzision bei der Errichtung der Anlage und Justierung der Sensorik, sowie perfekte Programmierkenntnisse und eine schnelle Auffassungsgabe, um die immer komplexer werdenden Aufgaben meistern zu können."
Präzision ist auch bei den Friseuren gefragt, wenn es darum geht, möglichst genaue Reflexionen vorgegebener Frisuren oder kreative Interpretationen von Frisurideen umzusetzen, wie Expertin Susanne Zuser von der Landesberufsschule St. Pölten erklärt: „Es gibt insgesamt sechs unterschiedliche Aufgabenstellungen, die von der Gestaltung einer Catwalkfrisur und einer Frauen-Langhaarfrisur bis hin zu einem einfachen Herren-Fashion-Haarschnitt reichen und die an Übungsköpfen absolviert werden müssen. Dabei wird von der Jury der Gesamteindruck bewertet, die Exaktheit und Genauigkeit des Schnitts, aber auch Details, etwa wie sauber gearbeitet wird.“ Maßgeblich, um ganz vorne zu landen, ist vor allem die Kontinuität der Arbeit, sagt Susanne Zuser. „Die Teilnehmer müssen möglichst viele Frisier- und Schnitttechniken beherrschen, um nicht nur bei einer Aufgabenstellung zu reüssieren, sondern idealerweise bei allen und damit die Jury zu überzeugen.“
Vergleichbar mit Spitzensport
Neben dem eigentlichen Können im Fachbereich, Geduld und Ausdauer sind aber auch die mentale und körperliche Stärke der Teilnehmerinnen und Teilnehmer für den Erfolg entscheidend, wie Marco Simma erklärt. Der Mitarbeiter der Julius Blum GmbH aus Vorarlberg begleitet das rot-weiß-rote Team bereits seit Jahren und ist auch heuer als Experte für CAD-Konstrukteure in Graz am Start: "Ich sehe das ähnlich wie im Spitzensport. Der beste Sportler ist nicht immer der Sieger." Simma abschließend: "Es bedarf der fachlichen Qualifikation und des Know-hows in der Umsetzung. Aber erst durch mentale Stärke kann diese Leistung auch unter Druck abgerufen werden."
Lehre stärken #schaffenwir
Für mehr Wertschätzung: Gemeinsam mit Radiomoderator Robert Kratky setzt die WKÖ „Lehre stärken #schaffenwir“ fort und gibt Lehrlingen und Ausbildungsbetrieben eine Bühne.
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