Vor drei Jahren trat das neue Arbeitszeitgesetz in Kraft. Im Interview erklärt Ökonom Michael Bartz, warum es noch mehr Reformen braucht, weshalb früher viele Mangerinnen und Manger oftmals mit einem Bein im Gefängnis standen und welche Rolle die Digitalisierung spielt.
"Seit Herbst 2018 können Arbeitnehmer stundenmäßig länger arbeiten – wenn sie sich ausdrücklich dafür aussprechen. Wie hat sich das auf die Wirtschaftskraft im Land ausgewirkt?"
Michael Bartz:
Um bereits jetzt Effekte auf Wirtschaftskennzahlen wie Wertschöpfung oder Produktivität festzustellen, ist der Zeitraum zu kurz. Aber: Nach vielen Jahren des Stillstands ist wieder Bewegung in die Arbeitszeitgesetzgebung gekommen. Allerdings: Für eine nachhaltige Sicherung der Produktivität braucht es weitergehende Reformen.
"Zum Beispiel?"
Ich plädiere für die Einführung eines lebenslangen Zeitwertkontenmodells. Präzise hieße das: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer könnten ihre Zeitguthaben ein Leben lang ansammeln und flexibel konsumieren. Man würde es dann von Firma zu Firma mitnehmen und schließlich in Freizeit, Geld oder sogar in einen früheren Pensionsantritt umwandeln.
"Sahen oder sehen Sie für jede Branche Reformbedarf?"
Ja. Viele Arbeitsanteile lassen sich in der Arbeitszeiterfassung nicht mehr sinnvoll abbilden. Geschäftliche E-Mails werden in der Bahn beantwortet, internationale Conference Calls fallen auf den Abend. Am Sonntag wird der Kalender für die nächste Woche gecheckt und geschaut, ob dringende Nachrichten für den Montag hereingekommen sind usw.
"Lässt sich die Ursache in der Digitalisierung ausmachen?"
Als Folge von Digitalisierung und Globalisierung stiegen die Flexibilitätsanforderungen an Unternehmen wie Mitarbeiter. Arbeit findet heute nicht mehr an bestimmten Orten wie dem Büro statt. Auch nicht mehr nur zu bestimmten Zeiten. Deshalb war es notwendig, damit zu beginnen, die Lücke zwischen Realität und Gesetzgebung zu schließen. Es ist noch ein langer Weg. Aber der Anfang ist gemacht.
"Wie gingen die Unternehmen vor der Reform mit dieser Herausforderung um?"
In Produktions-Spitzenzeiten hat das dazu geführt, dass das Management vieler Firmen in vielen Situationen halb mit einem Bein im Gefängnis gestanden ist.
8-Stunden-Tag bleibt die Regel
- Der 8-Stunden-Tag und die 40-Stunden-Woche sind auch im neuen Arbeitszeitgesetz enthalten, das seit 1. September 2018 in Kraft ist. Fallweise kann man aber bis zu 12 Stunden pro Tag und 60 Stunden pro Woche arbeiten. Im Viermonatsschnitt dürfen es aber nicht mehr als 48 Stunden in der Woche sein. Die elfte und zwölfte Stunde sind grundsätzlich Überstunden mit Zuschlag.
- Ohne Angabe von Gründen können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Arbeitsleistungen über 10 Stunden bzw. über 50 Stunden ablehnen. Man kann wählen, ob die Überstunden, die über 10 bzw. 50 Stunden hinausgehen, mit Geld oder durch Zeitausgleich vergütet werden.
- Die besonderen Gleitzeitregeln bleiben erhalten. Der 8-Stunden-Tag bleibt auch hier die Regel. Hier gelten ebenfalls die neuen Höchstgrenzen. Zuschläge bei Gleitzeit gibt es in zwei Fällen: erstens bei dauerhafter Mehrbelastung; damit ist gemeint, dass ein Zeitguthaben nicht abgebaut und nicht übertragen werden kann. Und zweitens, wenn der Arbeitgeber Überstunden anordnet. Für den Arbeitnehmer günstigere Regelungen in Kollektivverträgen und Betriebsvereinbarungen bleiben aufrecht.
- Eine Verkürzung der täglichen Ruhezeit auf 8 Stunden bei geteilten Diensten im Hotel- und Gastgewerbe wird möglich. Familienangehörige und Arbeitnehmer mit selbständiger Entscheidungsbefugnis sind vom Arbeitszeit- und vom Arbeitsruhegesetz ausgenommen.