Warum Unternehmen ihre Echokammern verlassen müssen, wenn sie fit für die Zukunft werden wollen, erklärt Valerie Streibel von FASresearch.
Wer beeinflusst, was wir denken? Welche Institutionen lancieren Ideen, die den öffentlichen Diskurs tatsächlich prägen? Das Wiener Forschungs- und Beratungsunternehmen FASresearch hat untersucht, wer die richtungsweisenden Ideen- und Impulsgeber Europas und insbesondere des D-A-CH-Raums sind. Das Ranking der einflussreichsten Organisationen findest du in unserem Beitrag "Die 10 wichtigsten Ideengeber Europas“. Mit der Co-Geschäftsführerin Valerie Streibel haben wir über die Studienergebnisse gesprochen.
"Was benötigen 'Impulsgeber' neben guten Ideen?"
Valerie Streibel:
Die Impulsgeberformel lautet: Ideen mal Status mal Aufmerksamkeit. Daher haben wir 55 hochkarätige ExpertInnen und EntscheidungsträgerInnen aus unterschiedlichen Bereichen gefragt, welche Organisationen sie als einflussreich erachten, wer es schafft, wichtige Ideen und Impulse zu liefern und wer davon eine hohe Reputation genießt. Für den Faktor Aufmerksamkeit haben wir untersucht, wie oft die genannten Organisationen in den klassischen Medien vorkommen – und mit wie vielen Tweets und Retweets sie auf Twitter präsent sind.
"Waren die Ergebnisse überraschend?"
Es hat sich zum einen gezeigt, dass die klassischen Thinktanks tatsächlich federführend sind. Nicht nur was den Status, sondern auch was die Aufmerksamkeit betrifft. Was wir vorher nicht erwartet hätten, ist die wichtige Rolle der EU-Kommission als Impulsgeberin. Obwohl die EU im Spannungsfeld zwischen nationalen und übernationalen Interessen agiert, was gerade in der Covid-19-Krise nicht leicht ist, schafft sie es, wichtige und vor allem nachhaltige und längerfristige Impulse zu setzen. Das eröffnet auch die Chance, eine Gegenstimme gegenüber den USA oder China zu erheben und zum Beispiel in Sachen Datensouveränität eine klare, eigenständige Position zu beziehen.
"Je nach Umfrage glaubt rund ein Drittel der Menschen an teils absurde Verschwörungstheorien. Sind in unserer Gesellschaft nicht auch QAnon und Co., objektiv betrachtet, relevante 'Impulsgeber'?"
Mit unserer Studie wollten wir jene Akteure sichtbar machen, die durch ihre Ressourcen, ihr Netzwerk und ihren Status Veränderungen auf den Weg bringen können. Aber natürlich leben wir alle in einer Bubble. Der nächste Schritt müsste sein, dass wir uns unserer blinden Flecken bewusst werden. Destruktive Impulsgeber wie etwa Verschwörungstheoretiker machen auf eine Problematik aufmerksam, mit der wir uns auseinandersetzen müssen: Das Geschäftsmodell der sozialen Medien beruht darauf, Blasen zu schaffen. Meine Google-Suche führt zu anderen Ergebnissen als die meines Kollegen am Nebentisch. Das ist durchaus problematisch. Denn das macht es uns als Gesellschaft unmöglich, ein gemeinsames Lagebild zu erstellen.
"Ihre Studie hat auch ergeben, was die befragten Expertinnen und Experten als die größte Herausforderung der Gegenwart sehen. Die für manche vielleicht überraschende Nummer eins: Eine Vision gemeinsamer europäischer Politik zu entwickeln. Warum ist dieses Thema wichtiger als etwa Klimaschutz oder die digitale Transformation?"
Bei großen Herausforderungen braucht es ein Narrativ: eine Vision für die Bevölkerung und eine Story, wohin wir wollen, was getan werden muss und warum das notwendig ist. Eine gemeinsame europäische Vision ist ein Instrument, mit dem man die Menschen mitnehmen kann – um damit auch die anderen großen Probleme gemeinschaftlich lösen zu können. Damals bei der Gründung der EU ist die Vision des Wiederaufbaus mitgeschwungen. Auch jetzt in der Covid-Krise sind gemeinsame Visionen und Narrative wieder besonders wichtig.
"Was braucht es noch, um die globalen Herausforderungen zu bewältigen?"
Globale Herausforderungen kann man nur global, also gemeinsam lösen. Daher müssen wir raus aus unseren Echokammern. Wir müssen uns überlegen, wen wir noch ins Boot holen können. Neue Ideen entstehen immer an der Peripherie von Netzwerken. Das ist auch ein wichtiger Schlüssel für Unternehmen, um sich fit für die Zukunft zu machen. Wie die Studie auch gezeigt hat, sollten wir unerwartete Kooperationen, sogenannte „stretch collaborations“, eingehen, mit anderen, vielleicht wirklich ungewöhnlichen Akteuren.