„Großer Impfeffekt kann im Sommer kommen“

Simulationsforscher Niki Popper im MARI€-Interview.


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Lesedauer:

5 Minuten

AutorIn: Peter Draxler

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Niki Popper

Simulations-Experte Niki Popper prognostiziert einen Sommer mit wenigen Einschränkungen – wenn weiter geimpft und getestet wird sowie die Hygienemaßnahmen eingehalten werden.

"Als einer der renommiertesten Simulationsforscher des Landes beschäftigen Sie sich aktuell sehr stark mit der Corona-Pandemie. Wie lange wird es Ihren Berechnungen nach noch dauern, bis in Österreich eine ausreichende Anzahl an Menschen gegen das Coronavirus geimpft sein wird, um den derzeitigen Ausnahmezustand für beendet erklären zu können?"

 Niki Popper:
Wir haben in unserem Modell eine virtuelle österreichische Bevölkerung, die wir nach dem Impfplan impfen. So können wir – unter anderem auch für das Gesundheitsministerium – einschätzen, wie viele Menschen zu welchem Zeitpunkt immun sind. Da sehen wir, dass wir Ende Juni mit neun Millionen Dosen zwischen dreieinhalb und vier Millionen Menschen nur durch die Impfung immunisiert haben können - wenn genug Menschen mitmachen und die Logistik klappt. Das sind rund 40 Prozent der Bevölkerung. Drei Viertel der impfbaren Bevölkerung können dann die erste Impfung haben und knapp 50 Prozent sogar schon zweimal geimpft sein.

In unsere Modelle fließt eine ganze Reihe an Annahmen über Zeitpunkt und Ausmaß der Wirksamkeit ein. Der wirkliche Impfeffekt, also die Reduktion aufgrund des Impfens, kommt dann erst im Sommer. Da wird er dann aber sehr schnell sehr viel stärker und den Epidemiedruck deutlich reduzieren. Deshalb ist es auch so wichtig, dass man jetzt an den Impfprogrammen dranbleibt. Dass auch die Unternehmen mitmachen, wenn sie dran sind und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter motivieren, zur Impfung zu gehen. Das schützt nicht nur die Person selbst, sondern es schützt – wenn wir einen gewissen Prozentsatz erreichen - auch die Menschen, die sich zum Beispiel aus Krankheitsgründen nicht impfen lassen können.

 "Und wie werden sich nach Ihren Modellen die Infektionszahlen entwickeln?"

Aus Modellsicht hätten wir uns schon im März gewünscht, dass wir die Infektionszahlen noch etwas weiter heruntergebracht hätten. Dann wäre die Sache sozusagen in relativ trockenen Tüchern. Wir haben jetzt zum Beispiel in Wien, Niederösterreich und dem Burgenland eine recht gute Entwicklung. Da gehen die Zahlen schnell nach unten und das liegt an den stärkeren Maßnahmen. In anderen Bundesländern geht's auch, bei manchen ist es stabil und in Vorarlberg steigt es an.

Es liegt mir fern, diese Entscheidungen zu kritisieren, es gilt ja verschiedene Aspekte abzuwägen. Aber aus Modellsicht sieht man eben schon: Hätte man da mehr gemacht, hätte man dafür jetzt eine stabilere Entwicklung nach unten. Es geht ja um zwei Dinge: Wir wollen nicht entweder die Intensivstationen entlasten oder aufsperren, idealerweise schafft man ja beides. Wenn die Inzidenz jetzt weiter stabil fällt, entlastet das nicht nur die Intensivstationen, sondern ermöglicht auch nachhaltiges Aufsperren. Es gibt da schon sehr viele Untersuchungen, die zeigen, dass das Ziel sein muss, mit niedrigen Inzidenzen zu leben. So lassen sich die verschiedenen Aspekte am besten vereinen: die medizinische Sicherung, aber auch die wirtschaftliche, psychische und soziale Sicherung.

Wir dürfen dann nicht den Elan verlieren, müssen weiter impfen und sicher noch gewisse Hygienemaßnahmen aufrechterhalten.

Niki Popper, Simulationsforscher

"Wie sicher sind solche Prognosen, wo liegen die Herausforderungen bei der Modellerstellung?"

Das ist eine sehr gute Frage. Wir bauen mit unserem Modell die Wirkmechanismen nach. Wir haben die Screening-Programme im Modell, das Impfen, die Therapien. Wir machen zum einen eine Kurzfrist-Prognose, die die gesetzten Maßnahmen und die aktuellen Entwicklungen abbildet. Damit können wir einerseits ganz gut sagen, wie sich die Lage in den nächsten ein, zwei Wochen entwickeln wird. Das machen wir gemeinsam mit dem Complexity Science Hub und der Gesundheit Österreich im Rahmen des  Prognosekonsortiums. Da schauen wir uns das mit drei unterschiedlichen Modellen an. So kann man sich gegenseitig kontrollieren und mögliche Fehler schnell feststellen.

Mit unserem Modell wollen wir andererseits die Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger und auch die Bevölkerung dabei unterstützen, die Wirkmechanismen besser zu verstehen. Wir können uns dabei anschauen, welche Parameter bei Screening Programmen wichtig sind. Und wir können nicht nur zeigen, wie viele Menschen an einem bestimmten Tag geimpft sind, sondern auch, bei wie vielen die Impfung schon wirkt. Auch die Dunkelziffer der Infektionen lässt sich bei uns gut darstellen. Wir haben Anfang April eine Auswertung gemacht, da hatten 18 Prozent die Krankheit schon und nur sieben Prozent waren geimpft. Aber bereits Mitte Mai können wir an einem Punkt sein, wo wir gleichviel Menschen durch die Krankheit wie durch die Impfung immunisiert haben werden, nämlich jeweils rund 23 Prozent.

 

 "Neben den Impfungen gelten möglichst breitflächiges Testen und Präventionskonzepte als die wichtigsten Werkzeuge im Kampf gegen die Pandemie. Kann eine Kombination dieser Maßnahmen weitere Lockdowns verhindern?"

Ja, ganz sicher! Dass Testen und Screenings helfen, konnten wir schon letzten Sommer in unseren Modellen sehr gut zeigen. Aktuell sehen wir durch das Impfen eine Reduktion der Ansteckungen um rund fünf Prozent. Das wird auch noch bis Mitte Mai eher niedrig bleiben, aber dann sehr bald auf 20 Prozent ansteigen. Das hängt stark damit zusammen, dass wir alte Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen zuerst geimpft haben. Unser Ziel ist, dass wir mit Hygienemaßnahmen, mit Screenings und mit Impfen ausreichend viel gegen die Epidemie setzen und gar keine zusätzlichen Maßnahmen mehr brauchen. Und dieses Ziel ist sehr realistisch, wenn wir wirklich hinreichend viele Menschen impfen können, vor allem vor dem Herbst. Wenn weiter geforscht wird und wir sehr genau im Blick haben, wie gut die Impfung gegen potenzielle neue Mutationen wirkt. Über den Sommer wird uns die Saisonalität sehr helfen. Es weiß zwar noch keiner warum, aber Coronaviren sind in unseren Breiten im Sommer weniger aktiv.

Wir müssen jetzt möglichst schnell mit den Zahlen runterkommen. Da können auch regionale Maßnahmen notwendig sein, auch wenn das für die Politik wohl zunehmend schwieriger wird. Wenn wir niedrige Zahlen haben, wird es meiner Meinung nach im Sommer relativ gut gehen und dann müssen wir uns vorbereiten für den Herbst. Wir müssen schauen, dass wir in den Schulen und in den Unternehmen screenen können. Wir dürfen dann nicht den Elan verlieren, müssen weiter impfen und sicher noch gewisse Hygienemaßnahmen aufrechterhalten. Aber wenn wir diese drei Dinge nicht aus dem Auge verlieren, dann bin ich guter Dinge, dass wir ab Juni mit sehr, sehr wenigen zusätzlichen Maßnahmen das Auslangen finden.

 

"Was braucht es aus Ihrer Sicht für eine sichere und erfolgreiche Sommer-Saison im heimischen Tourismus?"

Ich glaube, in vielen Bereichen sind wirklich gute Konzepte aufgesetzt. Das betrifft vor allem zwei Bereiche: Das eine ist Screenen. Testen ist einer der Schlüssel, um das Problem zu lösen. Ohne zusätzliche Maßnahmen, also ohne Schließungen. Das andere sind die Präventionskonzepte. Da können alle wirklich viel beitragen. Und das ist, glaube ich, auch wirklich gut vorbereitet worden. Für einen erfolgreichen Sommer braucht man das jetzt. Man muss esaber gut umsetzen und schauen, dass die Leute dranbleiben. Dass die Unternehmen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch motivieren, positive Fälle gleich zu melden. Mit Heimlichkeiten tut man sich und der Allgemeinheit nichts Gutes. Mit Screenen, mit Hygienekonzepten und mit einem transparenten Umgang in den Unternehmen kann man irrsinnig viele Probleme lösen und Cluster verhindern.