Stanislav Murashov, Chief Economist der Raiffeisenbank in Russland, über die Auswirkungen der Wirtschaftssanktionen wegen Russlands Krieg gegen die Ukraine.
Ob Wladimir Putin mit einer derart geschlossenen und nachhaltigen Reaktion des Westens auf seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine gerechnet hat? Unwahrscheinlich. Fakt ist, dass die Auswirkungen der Maßnahmen der Europäischen Union und der USA die russische Wirtschaft schon jetzt schwer treffen. Der Rubel verlor massiv an Wert, zahlreiche Banken sind vom internationalen Kapitalmarkt abgeschnitten.
Viele Unternehmen kämpfen mit Teilemangel und Produktionsschwierigkeiten, der Rückzug westlicher Konzerne hat leere Verkaufsregale und geschlossene Geschäfte zur Folge. Geht es nach Stanislav Murashov, Chief Economist der Raiffeisenbank in Russland, dann werden die Konsequenzen für die Wirtschaft des Landes in den kommenden Wochen und Monaten aber noch viel deutlicher zu spüren sein.
Krieg in der Ukraine: Aktuelle Infos für Unternehmen
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630 Milliarden Dollar blockiert
"Die Sanktionen sind sehr umfassend und schwerwiegend und bedeuten weitreichende Einschränkungen", so Murashov in einem von der Außenwirtschaft Austria der WKO kürzlich abgehaltenen Webinar zur aktuellen Lage in Russland. Am folgenschwersten hält er die Sanktionen gegen die russische Zentralbank, die dieser Interventionen auf dem Währungsmarkt praktisch verunmöglichen würden. Die enormen Devisenreserven Moskaus von rund 630 Milliarden US-Dollar (rund 575 Milliarden Euro) im Ausland seien de facto blockiert, der Bewegungsspielraum arg eingeschränkt. "Die Zentralbank kann die lokalen Banken nicht mehr mit Devisen versorgen."
Preissteigerungen bis zu 80 Prozent
Die Inflation dürfte laut Einschätzung des Experten bereits bei mehr als zehn Prozent liegen, der Preiswachstum innerhalb weniger Tage sei "katastrophal". "Schon jetzt sind die Preise für viele Haushaltswaren um 30 bis 50 Prozent, bei manchen Produkten sogar um bis zu 80 Prozent gestiegen. Prognosen sind schwierig, aber möglicherweise wird die offizielle Inflation bis Ende des Jahres auf 20 Prozent steigen", sagte Murashov. "In Wahrheit wird sie aber noch viel höher sein, da viele Produkte, die jetzt besonders stark im Preis steigen, nicht Teil des Warenkorbs zur Berechnung der Inflation sind und daher in der Statistik nicht aufscheinen."
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Russische Regierung wurde überrascht
Als besonders weitreichend schätzt Murashov auch das massenhafte Verlassen des russischen Marktes durch westliche Firmen. "Diese Entwicklung scheint die russische Regierung nicht für möglich gehalten zu haben und kommt im Endeffekt einem Wirtschaftsembargo gleich." Die dadurch ausgelösten Unsicherheiten seien groß, der Überblick über geltende Sanktionen und Gegensanktionen zudem nur schwer zu behalten. Viele Unternehmen hätten auch Angst vor weiteren Sanktionen oder Verschärfungen.
Massive Auswirkungen auf lokale Produktion
"Selbst lokal ausgerichtete Unternehmen sind auf Importgüter wie Ersatz- und Verschleißteile angewiesen. Wenn diese Teile ausfallen, ist für eine Weile keine lokale Produktion möglich. Da erwarten wir einen bedeutenden negativen Einfluss, es wird einen großen Warenmangel geben." Der Umfang der Importe, die auf Staaten und Unternehmen entfallen, die sich aus Russland zurückziehen, liegt laut Einschätzung von Murashov bei rund 25 Prozent. Abgeschwächt würden die Rückgänge in allen Bereich aktuell einzig durch den anhaltenden Energiehunger Europas. Aber auch in diesem Bereich könne es praktisch täglich zu einschneidenden Veränderungen kommen.
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"Erwarten keine schnelle Lösung der Krise"
Unter dem Strich lasse sich die Lage laut Morishov mit 2009 vergleichen, als der konjunkturelle Abschwung der Weltwirtschaft durch die internationale Finanzkrise und der Einbruch der Ölpreise Russland hart getroffen hat. "Damals gab es starke Rückgänge bei Investitionen und Konsum sowie Export und Import, die Verluste waren enorm. Die Entwicklung jetzt dürfte sehr ähnlich verlaufen. Wir gehen Stand jetzt von einem Konsumrückgang bis Ende des Jahres von sieben Prozent aus." Nachsatz: "Die Auswirkungen werden aber wohl auch in den nächsten Jahren zu spüren sein – wir erwarten keine schnelle Lösung der Krise."