Wie "Schwämme auf Steroiden" unsere Welt verändern können

Künstliche Schwämme, die CO₂ speichern können? MIT-Materialforscher Mircea Dincă, erklärt, wie das geht.


Wer diesen Beitrag lesen sollte:

  • Weiterdenker:innen
  • Game Changer:innen

Lesedauer:

3 Minuten

AutorIn: Eva Baumgardinger

MIT-Professor Mircea Dinca i
Bryce Vickmark

Mircea Dincă

Der Chemiker Mircea Dincă forscht an sogenannten MOFs – metallorganischen Gerüsten, die dazu beitragen können, die Industrie energieeffizienter zu machen. 

Man kann Mircea Dincă getrost als Visionär bezeichnen. Der Chemiker und Materialforscher entwickelt am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) intelligente Materialien, die etwa zur Kohlenstoffabscheidung verwendet werden können. Dincă ist außerdem Mitglied der BOLD Community, einem von der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) initiierten globalen Netzwerk von visionären Pionier:innen zur Förderung von Innovation und Zusammenarbeit in unterschiedlichen Bereichen. Im Rahmen der BOLD Unconference von 6. bis 10. September 2023 holt die WKÖ 50 dieser BOLD Minds nach Österreich. Schon jetzt gibt uns Mircea Dincă einen Einblick in seine Forschungsarbeit.

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WKÖ/DMC

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Können Sie uns auf eine kleine Reise in die Zukunft mitnehmen: Welche intelligenten Materialien werden uns überraschen?

Mircea Dincă: Intelligente Materialien und Prozesse werden in vielen Sektoren sehen, wir brauchen sie zum Beispiel, um die Industrie energieeffizienter zu machen. Eine dieser Materialien, mit denen sich meine Forschungsgruppe beschäftigt, sind metallorganische Gerüste (MOFs). Sie sind im Wesentlichen "Schwämme auf Steroiden": Sie saugen enorme Mengen verschiedener Gase auf und können zur Kohlenstoffabscheidung verwendet werden. Gleichzeitig sind sie auch intelligente Materialien, die darauf abgestimmt werden können, Elektrizität zu leiten, Ionen und elektrische Ladungen in Batterien zu speichern und mit winzigen Mengen an Schadstoffen oder Giftstoffen zu interagieren – und dadurch als Sensoren zu fungieren. Diese und andere Materialien, die mit molekularer bzw. atomarer Präzision definiert und abgestimmt sind, sind meiner Meinung nach Materialien, die die Menschen in naher Zukunft in Erstaunen versetzen werden.

Factbox: Was sind MOFs?

Metallorganische Gerüstverbindungen (Metal-organic frameworks, MOFs) sind hochporöse chemische Verbindungen. Würde man ihre inneren Oberflächen auffalten, ergäbe das einen Fläche von bis 7.000 m2 pro Gramm – so groß wie ein Fußballfeld. MOFs können Gas ähnlich aufnehmen, wie ein Schwamm Flüssigkeit aufsaugt. Sie werden daher zum Beispiel für die Speicherung von Wasserstoff in Pkw-Tanks intensiv erforscht. 

Welche Beispiele gibt es, bei denen das schon in der Praxis funktioniert, wo auch auf unternehmerischer Ebene?

Mircea Dincă: Es gibt bereits groß angelegte Pilotprojekte zur Kohlenstoffabscheidung mit MOFs in Kanada und bei Start-ups in Kalifornien und Europa. Meine Forschungs-Gruppe und ein von mir mitbegründetes Start-up in Boston, Transaera, verwenden diese Materialien zur Steigerung der Effizienz von Klimaanlagen. Eines der Gase bzw. Moleküle, die MOFs in großen Mengen adsorbieren, ist Wasser. Bei Klimaanlage geht derzeit der Großteil der Energie nicht in die Kühlung der Luft, sondern in die Kühlung des Wassers in der Luft. Es ist erstaunlich, wie viel Wasser in der Luft steckt: Selbst in der Sahara herrscht oft eine relative Luftfeuchtigkeit von mindestens 20 %. Indem wir das Wasser mit einem MOF aus der Luft entfernen und dann trockene Luft anstelle von feuchter Luft kühlen, können wir die Effizienz von Klimaanlagen um mindestens 50 % steigern.

Bei Chemie und Materialforschung geht es nicht nur um neue Technologien, sondern auch darum, bestehende Sektoren nachhaltiger zu gestalten.

Mircea Dincă, Chemiker und Materialforscher


Welche bestehenden Branchen könnten dadurch erschüttert werden, welche neuen in Zukunft entstehen?

Mircea Dincă: Die Kälteindustrie wird ebenso zu einem wichtigen Markt werden wie die CO₂-Abscheidung. Letztere muss allerdings von der Politik unterstützt und durchgesetzt werden. Andere Sektoren, in denen Smart Materials einen großen Einfluss haben werden, sind Smart Homes, beispielsweise durch Sensoren, die die genaue Zusammensetzung der Atmosphäre eines Raums erkennen können. Auch die Lebensmittelindustrie, wo uns strengere Vorschriften hoffentlich dazu zwingen werden, mehr darauf zu achten, wie wir Lebensmittel wirtschaftlich und gesund produzieren, vertreiben und konservieren.

Ein großer Nutznießer von Smart Materials ist natürlich auch die Biotech-Industrie, die schon jetzt extrem anspruchsvolle Materialien einsetzt. Angesichts der Tatsache, dass der Planet immer heißer wird und die Menschen immer mehr Energie darauf verwenden werden, ihre Umwelt zu kontrollieren, finde ich es unglaublich motivierend, dass wir Lösungen anbieten können, um dieses Problem durch die Entdeckung von Materialien anzugehen.

Das Wichtigste in Kürze:

  • In seiner Forschung am MIT in Boston beschäftigt sich Mircea Dincă mit Materialien, die Energie sammeln und speichern können.
  • Ein Beispiel sind sogenannte metallorganische Gerüste (MOFs), die wie Schwämme funktionieren und Materialien und Prozesse energieeffizienter machen können.
  • Eingesetzt werden können MOFs in vielen Bereichen, zum Beispiel bei der CO2-Abscheidung, in der Kühltechnik, in Smart Homes oder der Lebensmittelindustrie.