Martin Glatz, Leiter des WKÖ-AußenwirtschaftsBüros Helsinki, über Finnlands Umgang mit der Corona-Krise und die Chancen für österreichische Unternehmen.
"Als eines von sehr wenigen Ländern bleibt Finnland von einer zweiten Corona-Welle verschont. Wie macht das Land das?"
Martin Glatz:
Vielleicht liegt das an der wenig taktilen Veranlagung der sonst sehr freundlichen Finnen, vielleicht an der spärlichen Besiedelung des Landes, das eine Bevölkerungsdichte aufweist, die ein Sechstel der österreichischen beträgt. Neben dem Abstandhalten fällt den Finnen auch das schon seit dem Beginn der Pandemie empfohlene Arbeiten von zu Hause recht leicht, nicht zuletzt dank einer ausgezeichneten IKT-Infrastruktur. Schließlich gelten relativ strenge Einreisebestimmungen, die grundsätzlich nur eine kurze oder arbeitsbedingte Einreise erlauben, und das mit Auflagen.
"Bedeutet das auch, dass sich die finnische Wirtschaft stärker entwickelt?"
Martin Glatz:
Besonders die stark in internationale Wertschöpfungsketten eingebundene Industrieproduktion leidet unter den durch die Pandemie ausgelösten Nachfrage- und Angebotsschocks. Der private Konsum zieht an, der Tourismus in der Heimat des Weihnachtsmanns stellt sich trotz aller Sicherheitsvorkehrungen auf Rückgänge ein. Insgesamt wird die finnische Wirtschaft heuer um circa vier Prozent schrumpfen, das ist weniger als im EU-Durchschnitt, aber ähnlich viel wie z.B. im benachbarten Schweden.
"Finnland positionierte sich früh als europäisches Innovations-Land. Wo liegt heute der wirtschaftliche Schwerpunkt?"
Martin Glatz:
Innovationen sind nach wie vor ein wichtiger Treiber der finnischen Wirtschaft. Informations- und Kommunikationstechnologien und die Digitalisierung stehen im Fokus. Viele Entwicklungen orientieren sich – ähnlich wie in anderen nordischen Staaten - an den Prinzipien der Kreislaufwirtschaft und der Ökoeffizienz. Zukunftsweisende Anwendungen im Gesundheits- und Bildungsbereich spielen allein schon aus demografischen Gründen eine wichtige Rolle.
"Wo liegen Chancen für österreichische Unternehmen?"
Martin Glatz:
Die österreichischen Exporte nach Finnland sind bis Ende August im Jahresvergleich um 5,2 % zurückgegangen, die Importe um 6,1 %. Auch das ist weniger dramatisch als im EU-Schnitt. Die Chancen liegen dort, wo Unternehmen einander auf Augenhöhe begegnen, z.B. bei effizienten Lösungen im Industrieanlagen- und Maschinenbau, in der Kfz-Zulieferindustrie, bei Life Sciences und Umwelttechnologien. Auch die Befassung mit Holz als Brennstoff und Baustoff bringt Österreich und Finnland zusammen, über den Weihnachtsbaum hinaus!
Finnland in Zahlen
Einwohner: 5,5 Millionen
Fläche: 338.440 km²
BIP: 240,6 Mrd. EUR
BIP/Kopf: 43.563 EUR
Reales BIP-Wachstum 2019: 1,1 %
BIP Prognose 2020: -4 %
Arbeitslosigkeit 2019: 6,7 %
Arbeitslosigkeit 09/2020: 7,6 %
Staatsverschuldung: 59,4 % des BIP
Inflation 2019: 1,1 %
Österreich in Finnland
Export: Rang 32
Direktinvestitionen Stand 2019: 684 Mio. EUR
Österreichische Unternehmen in Finnland: ca. 40 Niederlassungen
Chancen für österreichische Unternehmen: Maschinen- und Anlagenbau, Automobilzulieferungen, Umwelttechnologien, Life Sciences