Alle sprechen von "demografischem Wandel" oder "Alterung". Die neue Bevölkerungsprognose zeigt, was niemand anspricht: Kernproblem ist die Geburtenflaute, die sich immer mehr verschärft.
Es beginnt mit einer Fehlbezeichnung. Der demografische Wandel wird gern mit "Alterung" umschrieben. Dabei ist die "Alterung" nicht neu, schon seit 150 Jahren steigt die Lebenserwartung um zwei bis drei Monate pro Jahr. Was eigentlich hinter dem demografischen Wandel steckt, ist die Kinderarmut. Nach dem Babyboom der 60er Jahre kamen über 50 Jahre Geburtenflaute. Das spüren wir aber erst jetzt, weil für drei Babyboomer, die in Pension gehen, nur ca. zwei Kinder bzw. Junge als Fachkräfte und Beitragszahler nachrücken.
Nun fällt ein Prozess wie die Demografie weniger auf als plötzliche Ereignisse wie Covid, eine Hitzeperiode oder Wirtschaftskrise. Da fällt einem der Frosch ein, der aus dem langsam erhitzten Wasser nicht herausspringt, bis er stirbt. Dabei beeinflusst dieser Prozess Arbeitsmarkt, Sozialsysteme und Gesellschaft tiefgreifend. Schon jetzt bröckelt das Fundament für Wohlstand und Sozialsysteme, eine hohe, produktive Beschäftigung: Durch den Rückgang der Bevölkerung im Erwerbsalter, den Rückgang der Arbeitszeit und die stagnierende Produktivität. Die Lasten auf dem Fundament, Pensionen, Pflegefälle und Gesundheitsleistungen, steigen hingegen.
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Jetzt zum Newsletter anmelden!Zunächst brauchen wir Maßnahmen, die das Fundament rasch stärken: Wenn wir gesund länger leben, müssen wir länger arbeiten – wie in anderen Ländern auch. Es braucht Anreize für Mehrarbeit. Die Integration ist zu verbessern: Ukrainer, Syrer, Iraker und Afghanen sind immer noch erst halb so häufig beschäftigt wie der Gesamtschnitt. Da das Inlandspotenzial nicht reicht, braucht es Zuwanderung. Doch das Fundament stärken nur Erwerbstätige, und 2024 kamen von 140.000 Zuwanderern nur 9.700 mit Rot-Weiß-Rot-Karte.
1,3 Kinder – aber nur dank Menschen aus Drittstaaten
Diese Maßnahmen sind wichtig, betreffen aber nur die Symptome, nicht das Grundproblem: Österreich hat seit langem eine der niedrigsten Geburtenraten der Welt: 2,1 Kinder sind nötig, um die Elterngeneration zu ersetzen, in Österreich sind es aktuell 1,3 Kinder, ohne Menschen aus Drittstaaten (Frauen aus Afghanistan, Syrien und Irak haben im Schnitt 3,3) wären es noch weniger. 2025 zeichnet sich ein Rekordtief ab, kein Wunder, ist doch der durchschnittliche Kinderwunsch zwischen 2009 und 2023 von 2,1 auf 1,67 Kinder gefallen.
Das beeinflusst nicht nur Arbeitsmarkt und Sozialsysteme, sondern auch die Gesellschaft: Nach 50 Jahren Geburtenflaute haben viele Menschen kein familiäres Netzwerk mehr – Kinderlose haben keine Nachkommen, Einzelkinder keine Geschwister, Neffen und Nichten, Kinder von Einzelkindern keine Tanten, Cousins, etc. Dieses Netzwerk kann der moderne Sozialstaat nicht völlig kompensieren: Einsamkeit und der Mangel an Bezugspersonen belasten alle Generationen psychisch, im Alter fehlen die pflegenden Angehörigen, bei der Kinderbetreuung fehlen Verwandte, die einspringen, Singles müssen alles selbst erledigen und anschaffen, was in einem großen Haushalt geteilt werden kann, etc.
Die wahren Gründe für das Nein zu Kindern
Doch woran liegt das "Nein" zu Kindern? Am Geld? Österreich ist Europameister bei Familienleistungen und unsere Kaufkraft hat sich seit den 1960ern verdreifacht. An der Kinderbetreuung? Hier gibt es Handlungsbedarf, aber die Kinderbetreuung ist weit besser als früher und am besten in Wien, das die niedrigste Fertilität hat. An der (gefühlten) Unsicherheit? Menschen in Israel bekommen die meisten Kinder aller OECD-Staaten.
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Entscheidend sind zumindest in West-, Nord- und Mitteleuropa offenbar nicht wirtschaftliche, sondern andere Faktoren, etwa der Present Bias von Menschen: Die Nachteile von Kindern, temporär Verzicht auf Erwerbseinkommen, Karrierechancen und Freizeit, sind offensichtlich und kurzfristig, die Vorteile hingegen, Lebensfreude, Sinn, langfristig ein Netzwerk und eine Perspektive über das eigene Leben hinaus, sind eher langfristig. In der dritten kinderarmen Generation hat man sich an ein Leben ohne Kinder, Geschwister, etc. gewöhnt und gibt diese Einstellung weiter.
Die Medien verstärken den Trend: Die meisten Persönlichkeiten in Medien, Filmen, Serien sind kinderlos, das Ehepaar mit eigenen Kindern kommt kaum vor (die Simpsons sind Satire). Soziale Medien zelebrieren Individualismus und Selbstverwirklichung oder ersetzen gar persönliche Kontakte. Dazu kommt der kinderfeindliche öffentliche Diskurs: Wenn Kinder nur noch als "Last" und "Karrierekiller", Zeit mit ihnen als "unbezahlte Sorgearbeit" abgetan werden, wird das potenzielle Elternabschrecken und nicht zur Beteiligung motivieren.
Fazit: Die Demografie gefährdet unseren Wohlstand. Wir müssen das Fundament stärken, indem wir länger arbeiten, besser integrieren und qualifizierte Zuwanderung forcieren. Doch auch wenn die Entscheidung für Kinder höchstpersönlich ist, müssen wir über das Kernproblem, die Kinderarmut unserer Gesellschaft sprechen. Es braucht mehr Kinderbetreuung und die Erkenntnis, dass es keine Zukunft ohne Kinder gibt.
Das Wichtigste in Kürze:
- Österreichs demografisches Problem ist nicht die Alterung, sondern die seit Jahrzehnten sinkende Geburtenrate – ohne Zuwanderung wäre sie noch niedriger.
- Die Babyboomer gehen in Pension, aber zu wenige Junge rücken nach: Das schwächt Arbeitsmarkt, Produktivität und Sozialsystem.
- Maßnahmen wie längeres Arbeiten, bessere Integration und qualifizierte Zuwanderung stärken das Fundament – lösen aber nicht das Kernproblem.
- Kinderarmut hat gesellschaftliche Folgen: Immer mehr Menschen wachsen ohne familiäres Netzwerk auf, was Einsamkeit, Pflegeengpässe und Betreuungslücken verstärkt.
- Das "Nein" zu Kindern wird durch kurzsichtige Anreize, Medienbilder und einen kinderfeindlichen Diskurs verstärkt – Österreich braucht eine neue Ehrlichkeit in der Familienpolitik.