Handelspolitik diente lange vorrangig der Markterschließung – diese für uns in Europa über viele Jahre altbekannte Maxime gilt nicht mehr. Stattdessen rücken zunehmend geopolitisch geprägte Motive für handelspolitische Maßnahmen in den Vordergrund. Was bedeutet das für Europas offene Volkswirtschaften?
"Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen. So hat Aristoteles die Notwendigkeit von Flexibilität in sich verändernden Zeiten auf den Punkt gebracht.
Diese Notwendigkeit besteht für Europa, wenn es um seine Ausrichtung in der globalen Handelspolitik geht.
Denn in der globalen Handelspolitik hat sich in den letzten Jahren ein Strukturbruch vollzogen. Das macht der Trade-Policy Activity (TPA) Index der WTO und des IMF deutlich: Der Index zeigt sowohl strukturelle Veränderungen der globalen Handelspolitik als auch zyklische Muster im Zusammenhang mit bestimmten Ereignissen. So macht der TPA bildhaft deutlich: 2019 gab es einen klaren Wendepunkt in den handelspolitischen Aktivitäten.
Geopolitische Instrumentalisierung
Während die Nutzung handelspolitischer Maßnahmen über viele Jahre einem relativ stabilen Trend folgten, steigt die Aktivität seit rund sechs Jahren dauerhaft an.
Auslöser der Trendwende war die Eskalation des Handelskonflikts zwischen China und den USA 2018/19. Handelspolitische Maßnahmen wurden zunehmend gezielt als Instrument geopolitischer Strategie eingesetzt.
Mit dem Krieg in der Ukraine 2022 verstärkte sich dieser Trend: Energie- und Rohstoffschocks führten zu einer Vielzahl von staatlichen Eingriffen, Subventionen und industriepolitischen Maßnahmen.
Die neue Realität der globalen Handelspolitik zeigt sich also darin, dass sie heute nicht mehr vorrangig der Marktöffnung dient, sondern zunehmend breitere Ziele verfolgt, etwa die Versorgung essenzieller Güter, die Förderung strategischer Industrien oder die ökonomische Sicherheit.
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Jetzt zum Newsletter anmelden!Europa ist jetzt dringend gefordert, sich mit dieser Realität vertraut zu machen und gezielt darauf zu reagieren. Dabei ist der EU-Binnenmarkt unser entscheidender Vorteil. Er ist Europas Erfolgsrezept und fungiert in diesem neuen Setting als geoökonomischer Puffer und Hebel gleichermaßen.
Als tragende Säule bietet uns der EU-Binnenmarkt nicht nur Stabilität in unsicheren Zeiten, sondern auch die beste Basis für gemeinsame europäische Antworten auf künftige geoökonomische Herausforderungen.
Neben einem vertieften Binnenmarkt stärkt auch eine entschlossene aktive Handelspolitik, die sich im Grundsatz offen zeigt, aber auch einsatzfähige Defensivkapazitäten bereitstellt, die Wettbewerbsfähigkeit Europas.
Das Wichtigste in Kürze:
- Seit 2019 zeigt ein deutlicher Strukturbruch: Handelspolitik dient nicht mehr primär der Marktöffnung, sondern zunehmend geopolitischen Zielen.
- USA–China-Konflikt und der Ukrainekrieg haben staatliche Eingriffe, Förderungen und industriepolitische Maßnahmen massiv verstärkt.
- Energie- und Rohstoffschocks erhöhen weltweit die Nutzung handelspolitischer Instrumente als strategisches Werkzeug.
- Für Europa wird der EU-Binnenmarkt zum zentralen geoökonomischen Puffer und Hebel.
- Europas Wettbewerbsfähigkeit braucht eine aktive, offene Handelspolitik mit klaren Defensivkapazitäten.