Handel, Macht, Märkte: Geopolitik und Geoökonomie beeinflussen Märkte und Unternehmen. Das bietet sowohl Risiken als auch Chancen für Österreichs Unternehmer:innen.
Ob Ukraine-Krieg, Konflikte im Nahen Osten oder der Handelsstreit zwischen den USA und China: Geopolitik und Geoökonomie prägen zunehmend auch den Alltag österreichischer Unternehmen. Was verbirgt sich hinter diesen Begriffen, welche Chancen und Risiken ergeben sich daraus für Österreichs Wirtschaft – und wie kann Europa reagieren? Wir haben dazu mit Thomas Eibl, dem stellvertretenden Abteilungsleiter der WKÖ-Wirtschaftspolitik, sowie Klaus Hofstadler, Experte für Geopolitik bei der AUSSENWIRTSCHAFT AUSTRIA, gesprochen.
Was ist Geopolitik?
Das Thema "Geopolitik" ist seit einiger Zeit in aller Munde. Aber was genau verstehen wir eigentlich darunter?
Thomas Eibl: Bis dato existiert eigentlich keine einheitliche Definition. Im engeren Sinne bezeichnet Geopolitik einen Ansatz, der geografische Faktoren wie Raum, Lage, Demografie und Ressourcen als sicherheitspolitisch entscheidungsrelevante Größen in den Mittelpunkt stellt. Dies mündet dann schnell in Fragestellungen, die einen besonderen Fokus auf die Rolle von rivalisierenden internationalen Mächten und die sich verändernde Beschaffenheit der Weltordnung richten.
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Jetzt zum Newsletter anmelden!Was ist Geoökonomie?
Und wie grenzt sich Geoökonomie von Geopolitik ab?
Eibl: Als Geoökonomie lässt sich eine politische Strategie verstehen, bei der Regierungen die Wirtschaftskraft ihrer Länder nutzen, um mittels klassischer wirtschaftspolitischer Instrumente, wie etwa Handels- oder Währungspolitik, neben wirtschaftlichen auch geopolitische Zielen zu erreichen. Diese können offensiver Natur sein, wie etwa das Streben nach technologischer Vorherrschaft oder regionalem Einfluss. Aber auch defensive Ziele, wie die Reduktion gefährlicher Abhängigkeiten und der daraus entstehenden Verwundbarkeiten, fallen darunter – wir kennen das aus dem Energiebereich oder bei kritischen Rohstoffen.
Geopolitische Risiken für Österreichs Wirtschaft
Das klingt zwar abstrakt, dennoch spüren Unternehmen geopolitische Spannungen im Alltag. Haben Sie da konkrete Erfahrungswerte, Herr Hofstadler?
Klaus Hofstadler: Hofstadler: Die Auswirkungen sind enorm. Seit Beginn des Ukraine-Kriegs sind die geopolitischen Risiken sprunghaft angestiegen – der europäische Risikoindikator "Geopolitical Risk Index" hat um 40 % zugelegt. Die geopolitischen Risiken belasten Exporte, verunsichern Konsument:innen und treiben durch gestörte Lieferketten und höhere Energiepreise die Inflation nach oben. Auf kleine, offene Volkswirtschaften wie Österreich wirken sich geopolitische Konflikte oftmals besonders aus, weil wir stark in globale Wertschöpfungsketten eingebunden sind. Einen guten Überblick über die Entwicklung des geopolitischen Risikos im Zeitverlauf zeigt etwa der Geopolitical Risk Index, dem sich das aktuelle Chart of the Week der Abteilung Wirtschaftspolitik in der WKÖ widmet.
GRAFIK: Der Geopolitical Risk Index stieg zu Beginn des Ukraine-Kriegs um über 40 %
Geoökonomische Instrumente
Welche Instrumente setzt die Geoökonomie dabei ein?
Eibl: Da steht ein ganzer Baukasten zur Verfügung! Zu den bedeutendsten Werkzeugen zählen unter anderem Subventionen, Sanktionen, Embargos und Blockaden, Zölle und Handelsabkommen, Export- und Investitionskontrollen, Sabotage, Spionage und Cyberattacken sowie auch Auslandshilfen.
Können Sie uns ein Beispiel nennen, wo sich diese Instrumente aktuell auswirken?
Hofstadler: Ein aktuelles Beispiel ist das geplante EU-US-Zollabkommen. Erste Berechnungen im Sommer haben gezeigt, dass das BIP in Österreich kurzfristig um 0,15% sinken könnte. Das klingt nach wenig, ist aber für eine exportabhängige Volkswirtschaft wie unsere aber spürbar. Zumal die USA unser zweitgrößter Exportmarkt sind.
Es braucht jetzt ein klares Signal an alle anderen Handelspartner, dass die EU auch künftig ein verlässlicher Partner für freien und fairen Handel bleibt.
Neue Chancen in internationalen Märkten
Viele Unternehmer:innen fragen sich: Wo liegen trotz der Krisen Chancen?
Hofstadler: Trotz aller Unsicherheiten gibt es Märkte mit Wachstumspotenzial. Besonders Südostasien und Ozeanien sind Hotspots: Dort ortet das International Trade Center für Österreich ein zusätzliches Exportpotenzial von 2,5 Mrd. Euro. Auch Indien wächst stark, und die Golfregion investiert massiv in Infrastruktur und Technologie – was sich in deutlichen Exportsteigerungen heimischer Firmen niederschlägt.
Und was bedeutet das für die strategische Ausrichtung österreichischer Unternehmen?
Hofstadler: Unsere Betriebe sind Weltmeister in Qualität – aber das allein reicht nicht. In einer Welt voller Unsicherheiten braucht es mehr: strategische Resilienz, marktorientierte Preise und die Fähigkeit, Geschäftsmodelle laufend neu zu erfinden. Genau dabei unterstützen wir als WKÖ mit unserem weltweiten Netz und neuen Angeboten wie dem Geopolitik-Hub "Global Insights".
INFOTIPP I: WKÖ Global Insights
Die neue WKÖ-Plattform Global Insights bietet kompakte Analysen, anschauliche Grafiken und aktuelle Kennzahlen zu geopolitischen Trends, konjunkturellen Entwicklungen und der Außenwirtschaft – mit Fokus auf Österreich, Europa und die Weltwirtschaft. Ziel des bereichsübergreifenden Teams von WKÖ Global Insights ist, mit zukunftsorientierten Services die Widerstandsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit österreichischer Unternehmen nachhaltig zu stärken und wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen zu setzen, die den neuen geopolitischen Herausforderungen gerecht werden
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Wie reagieren österreichische Unternehmer:innen auf die globalen Veränderungen und Unsicherheiten?
Hofstadler: Es gibt natürlich kein einfaches Patentrezept. Grundsätzlich geht es für viele heimische Unternehmer:innen darum, Chancen in neuen Märkten zu nutzen, Abhängigkeiten zu reduzieren und sich nicht von Unsicherheit lähmen zu lassen. Mit unserem weltweiten Netzwerk der AUSSENWIRTSCHAFT und zahlreichen Aktivitäten arbeiten wir intensiv daran, die heimischen Unternehmen mit Know-how, relevanten Informationen und den richtigen Kontakten zu unterstützen.
Die Rolle der Politik
Wie kann und sollte die EU angesichts der aktuellen Herausforderungen reagieren?
Eibl: Zunächst müssen wir in Europa vor unserer eigenen Haustüre kehren. Beinahe 70% der österreichischen Ausfuhren gehen in den EU-Binnenmarkt. Damit umgibt uns schon mal ein wichtiger geoökonomischer Puffer. Auf der anderen Seite ist er durch seine gigantische Größe auch ein hochattraktiver Nachfragemarkt für Drittstaaten. Dadurch wird er auch zu einem gewichtigen geopolitischen Hebel, etwa in internationalen Verhandlungen. Diesen gemeinsamen Markt zu erweitern und zu vertiefen, ist daher in unser aller Interesse.
Darüber hinaus braucht es aber auch gerade jetzt ein klares Signal an alle anderen Handelspartner, dass die EU auch künftig ein verlässlicher Partner für freien und fairen Handel bleibt. Diese Botschaft gilt es mit einer aktiven Handelspolitik zu unterstreichen. Mit ihr kann Europa seine einseitigen Abhängigkeiten reduzieren, seine hochwertigen Güter und Dienstleistungen in strategische Zukunftsmärkte exportieren und damit heimische Arbeitsplätze schaffen.
Mit einer aktiven Handelspolitik kann Europa seine einseitigen Abhängigkeiten reduzieren, seine hochwertigen Güter und Dienstleistungen in strategische Zukunftsmärkte exportieren und damit heimische Arbeitsplätze schaffen.
Wie kann sich Österreich selbst wappnen, um im neuen geopolitischen Umfeld zu bestehen?
Hofstadler: Wir müssen uns darauf einstellen, dass Wachstum durch Export in Zukunft kein Selbstläufer mehr sein wird; gerade für KMUs ist die Bearbeitung von Exportmärkten besonders ressourcenintensiv. Umso wichtiger ist es, dass unsere Unternehmen bei der Navigation durch globale Herausforderungen auf die Internationalisierungsspezialisten der AUSSENWIRTSCHAFT AUSTRIA vertrauen können.
Egal ob innerhalb der EU oder in Schlüsselmärkten außerhalb: mit weltweit 100 Stützpunkten und einem tragfähigen Kontaktnetzwerk sind wir DER Ansprechpartner für Marktevaluierung und -eintritt, für Geschäftspartnersuche und Expansion, für Investitionen und Troubleshooting. Darüber hinaus ist es für die Wirtschaftskammerorganisation heute wichtiger denn je, dass wir unser außenwirtschaftliches Umfeld selbst pro-aktiv gestalten, etwa durch internationale Kooperationen auf Branchen-, Industrie- und Forschungsebene.
Danke für das Gespräch!
Das Wichtigste in Kürze:
- Im neuen geopolitischen Umfeld werden globalwirtschaftliche Prozesse und Beziehungsstrukturen immer weniger von ökonomischen Effizienzlogiken geprägt, sondern verstärkt von Sicherheits- und Machtinteressen bestimmt.
- Geoökonomie beschreibt den Einsatz wirtschaftspolitischer Instrumente und Mittel, um neben wirtschaftlichen auch geopolitische Ziele zu verfolgen.
- Für Österreichs Wirtschaft sind geopolitische Risiken besonders spürbar: steigende Energiepreise, gestörte Lieferketten und Inflation belasten die Exportwirtschaft.
- Es entstehen Chancen in neuen Märkten: In Südostasien, Indien, der Golfregion, Zentralasien, Südamerika oder den Westbalkanländern gibt es Wachstumspotenzial für österreichische Unternehmen.
- Die Politik ist auf europäischer und nationaler Ebene gefordert, das eigene außenwirtschaftliche Umfeld aktiv zu gestalten – mit Marktintegration, Handelspolitik und internationalen Partnerschaften.
- Unternehmer:innen sollten jetzt auf Resilienz, Diversifikation und flexible Geschäftsmodelle setzen – unterstützt von der WKÖ mit Angeboten wie der neuen Geopolitik-Plattform Global Insights.