Leitzinsen, Inflation und US-Wahl: Das musst du wissen

Börsenexpertin Monika Rosen über die aktuellen Zinssenkungen der EZB und der US-Zentralbank Fed.


Wer diesen Beitrag lesen sollte:

  • Wissenshungrige
  • Wirtschaftseinsteiger:innen

Lesedauer:

5 Minuten

AutorIn: Peter Draxler

EZB in Frankfurt i
EKH-Pictures | stock.adobe.com

Börsenexpertin Monika Rosen gibt im MARI€-Interview Einblicke in die komplexen Zusammenhänge zwischen Leitzinsentscheidungen, internationalen Märkten und der globalen Finanzwelt.

Wie wirken sich die aktuellen Leitzinssenkungen der europäischen Zentralbank EZB und der US-Zentralbank Fed auf Österreichs Wirtschaft aus? Was sollten Anleger:innen jetzt tun? Und welche geopolitische Faktoren werden Zentralbank-Entscheidungen in Zukunft beeinflussen? Das und mehr haben wir anlässlich der letzten Leitzins-Entscheidungen mit der erfahrenen Finanz- und Börsenexpertin Monika Rosen besprochen.

Frau Rosen, die Europäische Zentralbank (EZB) und die US-Zentralbank Fed haben im September die Leitzinsen gesenkt – die EZB am 12. September um 0,25 Prozentpunkte auf 3,5%, die Fed am 18. September um 0,5 Prozentpunkte auf die neue Spanne von 4,75 bis 5%. Was bedeutet das für uns?

Monika Rosen: "Eine österreichische Großbank hat für heuer eine Wachstumsschätzung für Österreich von +/- 0 (Anmerkung: Die Österreichische Nationalbank prognostizierte kürzlich ein BIP-Minus von 0,7% für 2024) abgegeben, also eine Stagnation. Für nächstes Jahr werden dann etwas über 1% Wachstum erwartet. Das wäre eine ordentliche Verbesserung, die man erst zusammenbringen muss. Dass die Zinsen sinken, um das zu unterstützen, ist sicherlich nicht falsch. Die Frage ist halt, wie man Zinssenkungen gestaltet, ohne dass die Inflation zurückkommt. Denn das wäre die blödeste Variante für die Zentralbanken."

 Mit welcher weiteren Entwicklung rechnen Sie?

Rosen: "Bei der EZB wurde erwartet, dass sie bis Ende 2025 jedes Quartal eine Senkung von 25 Basispunkten vornimmt. Nach den Senkungen von Juni und September sollte heuer noch ein weiterer Zinsschritt anstehen. Das könnte allerdings dann auch schon ein Vorgriff auf das kommende Jahr sein und bedeuten, dass 2025 nur 3 statt 4 Senkungen kommen. In den USA hatte die Fed jetzt ihre letzte Zinssenkung vor den Präsidentschaftswahlen im November. Von deren Ausgang hängt indirekt auch die weitere Entwicklung des Leitzinses zum Teil ab."

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Inwiefern?

Rosen: "Die Amerikaner haben ein hohes Defizit und eine hohe Staatsverschuldung, was ihnen der Markt aber nachsieht, weil sie mit dem Dollar die internationale Leitwährung haben. Und weil sie mit dem Treasury Markt, mit dem Markt der amerikanischen Staatsanleihen den größten, liquidesten, tiefsten Anleihenmarkt der Welt haben. Bei einer Wahl von Donald Trump dürften Defizit und Staatsverschuldung stärker ansteigen als unter einer Präsidentin Kamala Harris, deren angekündigte Maßnahmen eher gegenfinanziert sind. Wenn Trump wie in seiner ersten Amtszeit Zölle einführt und zudem – wie angekündigt - alle seine 2017 verabschiedeten Steuererleichterungen und Steuersenkungen permanent machen will, wird das die Inflation in den USA tendenziell steigen lassen. Das würde die Fed eher dazu bringen, die eine oder andere Zinssenkung doch nicht durchzuführen." 

Rechnen Sie in der nächsten Zeit eher mit einem Paarlauf zwischen EZB und Fed, oder wird es unterschiedliche Zinsschritte geben?

Rosen: "Na ja, eigentlich haben wir den ja schon gehabt. Man wirft EZB-Chefin Christine Lagarde immer zwischen den Zeilen vor, sich sehr stark an der Fed zu orientieren. Eine völlige Divergenz in die unterschiedlichen Richtungen halte ich für sehr unwahrscheinlich. Allerdings hat die Fed anders als die EZB ein duales Mandat: Preisstabilität und Arbeitsmarkt. Zum Unterschied zur EZB, die nur Preisstabilität im Fokus hat. Gleichzeitig ist die Fed nur dem Kongress verantwortlich, und betont auch immer, dass die Finanzmärkte und die internationale Situation keine Rolle spielen würden. Beides stimmt natürlich nicht. Sie müssen die Finanzmärkte sehr wohl im Auge behalten und auch das Stichwort Emerging Markets spielt eine Rolle.

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Man kann sich als Anleger nicht gegen Zinsentscheidungen absichern, die wird es immer geben.

Monika Rosen, Finanz- und Börsenexpertin

Also ein gewisser Gleichklang ist hier sicherlich gegeben – allerdings nur in den westlichen Industriestaaten, weltweit gilt das nicht. Die Bank of Japan hebt die Zinsen eher an, hat schon zweimal angehoben und stellt eine dritte Zinsanhebung in Aussicht. Sie kommt natürlich von einem ganz anderen Niveau und hatte lange mit Deflation zu kämpfen. Also einen völligen Gleichklang der Geldpolitik weltweit, so wie wir ihn in der Corona-Krise hatten, haben wir jetzt nicht mehr."

 Japan ist ein gutes Stichwort: Wie könnte sich die japanische Geldpolitik auf uns auswirken?

Rosen: "Ich denke, vor allem über die Finanzmärkte und die Auswirkungen der Geldpolitik auf die Currency Carry Trades. Da hat man diese ultratiefen Zinsen in Japan dazu genutzt, sich in Yen zu verschulden und den Erlös dann anderswo zu investieren, wo mehr Rendite herausschaut. Mit den Zinsanhebungen in Japan ist das ins Wanken geraten und hat Anfang August eine stärkeren Kursrutsch an den Börsen ausgelöst. Wenn von dort noch einmal etwas hereinkommt, kann das die Situation an den Finanzmärkten erschüttern. Dass jetzt für die Konjunktur das in Österreich so wahnsinnig durchschlägt, sehe ich allerdings eher nicht."

Welche Rolle werden geopolitische Faktoren bei zukünftigen Entscheidungen der Notenbanken spielen?

Rosen: "Also das Geopolitische spielt immer dann eine Rolle, wenn es beginnt, den Konsum, die Konsumentscheidungen und letztendlich auch die Investitionsentscheidungen zu beeinflussen. Das ist zum Beispiel im Hinblick auf den Krieg in der Ukraine ein Thema. Man hört das zwar nicht gern, aber die Budgets sind gut ausgelastet, sowohl in den USA als auch bei uns. Und trotzdem wird man zusätzliches Geld für Rüstung finden müssen. Diese Friedensdividende ist jetzt, würde ich meinen, jedenfalls in Europa beendet. Wir haben da seit dem Fall des Eisernen Vorhangs und seit der Wende in Deutschland sicherlich mehrere Jahrzehnte gehabt, wo Rüstung ganz weit hinten priorisiert war. Und das ist jetzt anders geworden."

Wie können sich österreichische Anleger:innen auch auf lange Sicht von den aktuellen und dann anstehenden Entscheidungen profitieren oder vor allem gegen negative Auswirkungen absichern?

Rosen: "Man kann sich als Anleger nicht gegen Zinsentscheidungen absichern, die wird es immer geben. Man soll eine langfristige Strategie und langfristige Ziele haben, ein Beratungsgespräch suchen mit dem Gegenüber des Vertrauens, wer immer das ist. Sich klarmachen: Was will ich erreichen, welchen Zeithorizont und welche Risikotoleranz habe ich? Und danach eine Anlagestrategie aussuchen. Tendenziell bedeuten sinkende Zinsen, dass zinssensitive Branchen wie Immobilien jetzt besser performen als in den vergangenen Jahren. Wenn die Konjunktur schlecht läuft, kommen eher defensive Branchen zum Zug. Solche Dinge kann man schon überlegen. Aber der Anleger muss mit einer gewissen Fluktuation im Zinszyklus rechnen. Die hat er auch jetzt."

Wie sehen Sie die langfristige Rolle der Zentralbanken jetzt in einer Wirtschaft, die zunehmend digitalisiert und globalisiert ist? Und was bedeutet das für die österreichische Finanz und Unternehmenslandschaft?

Rosen: Natürlich müssen sich auch Zentralbanken international immer mehr vernetzen und auf eine immer pluralere Welt einstellen. 1995 hatten Indien und China zusammen einen Anteil von 4% am weltweiten BIP, heute sind es 25%. Da braucht es eine stärkere Vernetzung von EZB und Fed mit der Reserve Bank of India und der People's Bank of China. Es gibt also immer mehr Player, da muss Europa seine Kräfte bündeln, um in diesem globalen Wettbewerb besser bestehen zu können.

Das Wichtigste in Kürze:

  • Zinssenkungen und Wirtschaft: Die EZB und Fed haben die Zinsen gesenkt, um das Wirtschaftswachstum zu stützen. Ein Inflationsanstieg bleibt jedoch ein Risiko.
  • Ausblick bis 2025: Bei der EZB wird bis 2025 mit weiteren regelmäßigen Zinssenkungen gerechnet. Die USA sind bis zu einem gewissen Grad wahlabhängig, besonders im Hinblick auf Trumps Politik.
  • Einfluss Japans: Die japanische Geldpolitik könnte über die Finanzmärkte und Currency Carry Trades weltweit für Erschütterungen sorgen.
  • Geopolitische Risiken: Konflikte wie der Ukraine-Krieg beeinflussen Konsum- und Investitionsentscheidungen und erfordern neue Prioritäten in den Staatsbudgets.
  • Anlagestrategie: Eine langfristige Sichtweise, insbesondere in zinssensitiven Branchen wie Immobilien, bleibt entscheidend. Fluktuationen im Zinszyklus sind zu erwarten.