"Langsam kommt man schneller ans Ziel!"

Andy Holzer war der erste Blinde am Mount Everest und lehrt CEOs, richtig zu führen


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6 Minuten

AutorIn: Felix Jun

Andy Holzer beim Abstieg vom Mount Everest i
Klemens Bichler

Er klettert auf Berge. Er hält Vorträge. Er ist blind. Der Osttiroler Andy Holzer hat auf seinen Touren den Wert bewusster Langsamkeit und dynamischer Führung erkannt. 

Das Tourenbuch von Andreas Josef Holzer ist schwer wie ein Ziegel. An die 200 Einträge kommen jedes Jahr dazu: Klettertouren und Skitouren, außerdem Eisklettereien mit Steigeisen und rasiermesserscharf geschliffenen Eisgeräten. In der Erinnerung spürt Andy, wie er genannt wird, den Charakter des jeweiligen Geländes – sehen kann er ihn nicht. Denn der 54-jährige Osttiroler ist aufgrund einer Netzhauterkrankung von Geburt an blind. 

Das fehlende Augenlicht hat der Alpinist aus Tristach am Fuß der Lienzer Dolomiten aber nie als Behinderung empfunden. Eher als Tatsache. Die es ihm sogar leichter gemacht hat, bis heute an den Qualitäten des Kindseins festzuhalten. Sehende, glaubt nämlich Holzer, würden ab dem sechsten Lebensjahr "von der Gesellschaft in einen starren Rahmen gepresst", ist Holzer überzeugt. Dieser Kelch sei an ihm vorrübergegangen: "Ich kriege noch heute oft nicht mit, was die Leute neben mir tun und was gerade gesellschaftlich opportun ist. Weil ich es einfach nicht sehe. Darum habe ich viele der Muster, die in Kindergarten, Schule oder Beruf vermittelt werden, erst gar nicht übernommen."

Topmanager lernen von einem Blinden

Geblieben ist Holzer stattdessen sein unbändiger Entdeckerdrang. Und der hat ihn nicht nur auf viele der höchsten Gipfel Österreichs, Europas und der Welt geführt, sondern auch in internationale Kongresszentren und Firmenauditorien. Zwei Bücher hat er geschrieben, und gleichzeitig die Faszination des Vortrags für sich entdeckt – mit den vielen Parallelen von Bergen und Unternehmen. Und so brennen auch Topmanager und Weltkonzerne auf die Erkenntnisse des langhaarigen "Blind Climbers" aus Osttirol. Gewonnen hat er seine Einsichten am Seil und im Spiegel der Berge, die für Holzer ein Medium sind: "Der Berg ist für mich der beste Reflektor. Er bleibt immer unbestechlich."

Andy Holzer bei seiner Keynote am JW Summit 2020 i
Michaela Habinger

Am Berg hat Holzer gelernt, selbst zu entscheiden. Dabei hat er ein besonders feines Sensorium dafür entwickelt, wie viel Risiko er sich zumuten kann. "Schon als Kind haben mir die einen gesagt: ,Das geht nicht‘, während mich die anderen mit ,Du schaffst das‘ bestärkt haben. Wem sollst du glauben? Das kannst du nur selbst herausfinden."

Seine Touren bestreitet Holzer als Solist. Alleine ist er trotzdem nie. Einer seiner ältesten Begleiter ist wie bei jedem Bergsteiger die Angst. Die allerdings hat er zu schätzen gelernt. Als "Botenstoff für die nächste Entwicklungsstufe". Diese Entwicklungsstufe, da ist sich Holzer sicher, "erreicht man leichtfüßig, wenn man seine Schwächen offen zeigt". Wenn erst einmal der Druck abfällt, mit aller Gewalt stark sein zu müssen, würden zum richtigen Zeitpunkt enorme Energien frei: "Dann wird mir etwa am Beginn eines schweren Quergangs mit langen Hakenabständen klar, dass ich in diesem Augenblick der einzige Mensch auf der Welt bin, der dieses Problem lösen kann und lösen will."

Am Everest wissen meine Begleiter nicht, wie ich mir als Blinder die Steigeisen im Sturm anziehe oder eine Gletscherspalte überquere. Also muss ich sie anleiten, damit sie mich führen können.

Andy Holzer

Holzer ermutigt seine Zuhörer aber nicht nur, eigene Schwächen anzunehmen: Als Kletterer, der schon auf dem Gipfel des Mount Everestgestanden ist, rät er Wirtschaftstreibenden auch dringend zur bewussten Temporeduktion. "Klettere langsam, damit es schneller geht", ist Holzers Mantra, wenn er als Seilschaftsführer Neulinge in die vertikale Kunst einweiht. Wer langsam vorgeht, vermeidet potenziell tödliche Fehler, die man unter Zeitverlust korrigieren muss. Wer sich mit Bedacht bewegt, gelangt so letztlich schneller zum Ausstieg.

Auf dem Weg dorthin schwört Holzer auf eine besondere Form der dynamischen Führung. "Als Geführter muss ich zwischendurch immer wieder meinen Führer führen, damit er wiederum mich führen kann." Auch diese Entdeckung hat Holzer am Berg gemacht: "Am Everest wissen meine Begleiter nicht, wie ich mir als Blinder die Steigeisen im Sturm anziehe oder eine Gletscherspalte überquere. Also muss ich sie anleiten, damit sie mich führen können."

Spontane Rollenwechsel stärken die Führung

Auf die Wirtschaft übertragen, bedeutet das: Spontane Rollenwechsel stärken beide Seiten. Zum Beispiel dann, wenn der CEO den Verbesserungsvorschlag eines Lehrlings annimmt und so für einen Moment die Führung abgibt.

So ein Verhältnis bezeichnet Holzer als "gepflegte Abhängigkeit". Er führt aus: "Ungepflegte Abhängigkeit beruht auf Druck und autoritärem Verhalten. Gepflegte Abhängigkeit besteht dagegen im Anerkennen, dass wir Menschen aufeinander angewiesen sind und gut daran tun, uns gegenseitig unsere Ressourcen zur Verfügung zu stellen." Gegenseitige Stärkung, das sei auch der Plan der Schöpfung, denn: "Wir sind nicht auf der Welt, um im Individualstress Perfektion zu erreichen, sondern wir sind hier, um uns gemeinsam zu entwickeln: So kommt jeder über seine persönlichen Grenzen weit hinaus."

Weitere Infos:

Mehr über Andy Holzer erfährt man auf seiner Homepage.