Das Maßnahmenpaket des Inflation Reduction Acts ist weit mehr als es seine Bezeichnung vermuten lässt. Wir erklären, wie der IRA wirkt und warum das unsere Wirtschaft betrifft.
Eines vorweg: Der IRA steht zwar, wie der Name bereits verrät, für Teuerungsbekämpfung. Dahinter verbirgt sich aber ein industriepolitisches Programm zur gezielten Unterstützung der US-Industrie bei der Klimawende.
Wer in den USA grüne Technologien produziert, erhält umfangreiche Unterstützung vom Staat. Und genau das entpuppt sich als reale Gefahr für die Industriestandorte Europa und Österreich.
Wie genau funktioniert der Inflation Reduction Act aber eigentlich?
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Jetzt zum Newsletter anmelden!So kurbelt der IRA die US-Wirtschaft an
Der IRA ist seit 1. Jänner 2023 in Kraft. In dem Gesetz enthalten sind umfangreiche Investitions- und Produktionsförderungen. Der Fokus liegt dabei klar auf der Dekarbonisierung bestehender Industrieanlagen und auf grüner Energieerzeugung und -nutzung. Sein Umfang beläuft sich nach Angaben der US-Regierung auf rund 370 Mrd. USD über einen Zeitraum von 10 Jahren.
Steuerliche Anreize sollen es für Unternehmen attraktiv machen, Zukunftstechnologien in den USA zu entwickeln und herzustellen. Dazu werden Ausgaben für nachhaltige Technologien mit ungedeckelten Steuergutschriften belohnt, sofern ein bestimmter Anteil aus US-Produktion stammt (die sogenannte Local-Content-Regelung). Wieviel der IRA also tatsächlich kosten wird, hängt im Wesentlichen davon ab, wie stark die Förderungen in Anspruch genommen werden. Schätzungen gehen zum Teil von mehr als einer Billion USD aus.
Nach rund einem Jahr lässt sich sagen: Die Rechnung geht für die US-Wirtschaft auf.
Grüne Investitionen boomen in den USA
Während die grünen Investitionen in Europa – auf hohem Niveau – stagnieren, erleben sie in den USA seit Inkrafttreten des IRA einen regelrechten Boom.
Wie Zahlen des MIT Center for Energy and Environmental Policy Research (CEEPR) und der Rhodium Group belegen, beliefen sich die gesamten Investments in grüne Technologien 2023 auf 239 Mrd. USD - siehe auch die untenstehende Grafik.
Das entspricht einem Plus von 38 % gegenüber dem Vorjahr. Der Vergleich zeigt: In den vorhergehenden Jahren waren die Anstiege mit 25 % (2022) und 24,5 % (2021) deutlich geringer.
Allein mit dem Einsatz von öffentlichen Mitteln des Bundes in der Höhe von 33,7 Mrd. USD, darunter Steuergutschriften von rund 33,3 Mrd. USD, ist es gelungen, Gesamtinvestitionen in Höhe von 220 Mrd. USD auslösen.
Das entspricht einem Multiplikator von 5,5.
Der IRA wirkt also als Turbo für grüne Investitionen in den USA. Aber wo Gewinner, da auch potenzielle Verlierer. Die Konsequenzen für den Wirtschaftsstandort Europa - und damit auch Österreich – sind schon spürbar.
Übersee wird für Industrie aus Europa immer attraktiver
Die Wirkung dieser großzügigen staatlichen Unterstützungen strahlt über die USA hinaus und lockt vermehrt auch Unternehmen und Kapital aus dem Rest der Welt an.
Durch diese Sogwirkung wächst die Gefahr, dass etwa Anlagenbauer:innen von Solaranlagen, Windparks oder von Anlagen für die Erzeugung von Wasserstoff ihren Standort weg aus Europa auf die andere Seite des Atlantiks verlegen. Mit dem Resultat, dass dadurch in Europa Wertschöpfung, Wachstum und Jobs in den so wichtigen Zukunftsbranchen verlorengehen.
Auch österreichische Industrieunternehmen liebäugeln mit Standortverlegung
Wie eine vor kurzem veröffentlichte Studie von Deloitte zeigt, entwickeln sich die USA mittlerweile auch für österreichische Unternehmen zu einem beliebten Ziel für Standortverlagerungen. Denn zusätzlich zu den IRA-Mitteln warten weitere attraktive Rahmenbedingungen wie günstigere Energiepreise und ein riesiger Markt auf die europäische Industrie.
Während die USA als Industriestandort zunehmend also an Attraktivität gewinnen, kämpfen die hier ansässigen Produktionsbetriebe mit widrigen Umständen: Verhältnismäßig hohe Arbeitskosten und Steuern und Abgaben, aber auch ausufernde Bürokratie machen den Industriestandort Österreich zunehmend unattraktiv.
Die Folgen: Investitionen bleiben hierzulande aus und Wertschöpfungsanteile wandern vermehrt ins Ausland ab. Deindustrialisierung ist demnach nicht mehr nur als theoretische Gefahr zu sehen, sie findet bereits statt - auch in Österreich.
Ein Gegensteuern durch kraftvolle Unterstützung des Industriestandortes Europa ist dringend notwendig. Aber wie?
12 Minutes Europe - Meeting Global Challenges
Am 8. April 2024 brachten hochkarätige Gäste aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Medien auf den Punkt, wie Europa in Zeiten wachsender Unsicherheiten die Veränderung als Katalysator für wirtschaftliches Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit nutzen kann.
Beim ersten WKÖ-Wirtschaftssymposium "12 Minutes Europe – Meeting Global Challenges" waren Speaker:innen wie Nouriel Roubini, Kersti Kaljulaid und Karl-Theodor zu Guttenberg anwesend.
Alle Insights vom EventEU braucht eine Industrie-Strategie als starke Antwort
Einen ersten Anlauf hat die EU mit dem Net-Zero Industry Act unternommen. Die EU-Verordnung, für die es im Februar eine Einigung von Europäischem Parlament und Rat gab, zielt darauf ab, die Bedingungen für Investitionen in grüne Technologien zu erleichtern und Europa als attraktiven Standort für nachhaltige Industrien zu positionieren. Anders als der IRA verzichtet der Net-Zero Industry Act jedoch auf das Instrument der Steuergutschriften und setzt eher auf Verfahrenserleichterungen.
Diese sind zwar unabdingbar. Ohne eine einfachere, flexiblere und voluminösere Ausgestaltung europäischer Förderinstrumente auf einer gesicherten Finanzierungsgrundlage dürfte die bisherige europäische Industriepolitik jedoch kaum dazu in der Lage sein, einen grünen Investitionsboom wie in den USA in Gang zu setzen.
Das Wichtigste in Kürze:
- Der Inflation Reduction Act (IRA) der Vereinigten Staaten enthält ein umfassendes Investitionspaket zur Förderung von grünen Technologien und zur Dekarbonisierung der Wirtschaft.
- Ungedeckelte Steuergutschriften und Local-Content-Regelungen sorgen für einen regelrechten grünen Investitionsboom in den USA und sind auch für ausländische Unternehmen und Kapitalgeber:innen attraktiv.
- Immer mehr österreichische Unternehmen ziehen eine Standortverlagerung in die USA in Betracht.
- Um aktiv gegenzusteuern und Europa als attraktiven Standort für nachhaltige Technologien zu positionieren, braucht die EU eine eigene, kraftvolle Industrie-Strategie.