Die EU will Unternehmen entlasten – mit Omnibus-Paketen & mehr. Was das konkret heißt, erfährst du in diesem MARI€-Interview.
Die EU hat einen Richtungswechsel angekündigt: Zu viel Bürokratie bremst Unternehmen aus – gerade kleine und mittlere Betriebe. Mit Omnibus-Paketen und dem "Stop-the-Clock"-Beschluss will die Europäische Kommission das ändern. Was das für Berichtspflichten, Nachhaltigkeitsregeln und den Unternehmensalltag in Österreich bedeutet, erklärt WKÖ-Expertin Marlene Lales.
Um das geht's bei den Omnibus-Paketen der EU
Die EU plant weitreichende Vereinfachungen für Unternehmen – darunter reduzierte Berichtspflichten bei CSRD, CSDDD und der EU-Taxonomie. Was steckt da dahinter?
Marlene Lales: Erfreulicherweise hat die EU-Kommission erkannt, dass immer komplexere, zunehmende Bürokratiebelastung ein Hemmschuh für unsere Unternehmen und damit für Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit ist. Angesichts nicht weniger werdender geopolitischer Herausforderungen kann sich unser Wirtschaftsstandort Europa ein überbordendes Regelungsumfeld nicht mehr leisten. Die EU-Kommission hat sich nun zum Ziel gesetzt, bis 2029 den EU-Bürokratieaufwand für alle Unternehmen um mindestens 25 % und für KMU um mindestens 35 % zu reduzieren. Das soll zu konkreten Bürokratieeinsparungen für Unternehmen in der Höhe von 37,5 Mrd. Euro europaweit führen.
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Welche Bereiche sind betroffen?
Lales: Unter dem Schlagwort "Simpler and Faster Europe" verfolgt die EU-Kommission eine breite "Vereinfachungsagenda" – das heißt, jeder EU-Kommissar ist in seinem jeweiligen Politikbereich angehalten, bestehende Regeln einem Stress-Test zu unterziehen, in einen verstärkten Dialog mit Stakeholdern einzutreten und konkrete Vereinfachungsvorschläge im EU-Recht vorzuschlagen.
Parallel hat die EU-Kommission sogenannte Omnibus-Pakete vorgelegt, mittels derer in einem Verfahren mehrere Rechtsakte gleichzeitig geändert und vereinfacht werden sollen. Bislang wurden unter anderem folgende Omnibus-Vorschläge zur Vereinfachung präsentiert:
- Omnibus I Nachhaltigkeit (davon umfasst sind die Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung/CSRD und EU-Taxonomie, die Lieferketten-Richtlinie/CSDDD und der CO₂-Grenzausgleichsmechanismus)
- Omnibus II zu EU-Investitionsprogrammen
- Omnibus III zur Gemeinsamen Agrarpolitik
- Omnibus IV zu Small Mid-Caps und zur Digitalisierung in der Produktgesetzgebung
- Omnibus V im Verteidigungsbereich
- Omnibus VI im Chemikalienbereich
Weitere Omnibus-Pakete werden voraussichtlich im Umwelt-/Chemikalienbereich sowie im Digitalisierungsbereich bis zum Ende des Jahres erwartet.
VIDEO: Zu viel Bürokratie? Warum Österreichs Wirtschaft leidet
"Stop-the-Clock": CSRD und CSDDD werden zeitlich verschoben
Wie soll es umgesetzt werden und mit welchem Zeithorizont ist zu rechnen?
Lales: Mit den Omnibus-Vorschlägen sollen bürokratische Hürden abgebaut werden - u.a. durch erleichterte Berichtsstandards, weniger berichtspflichtige Unternehmen, Beschränkung der Sorgfaltspflichten auf direkte Geschäftspartner, weniger häufige Berichtspflichten, Begrenzung der Informationsanforderungen an KMU, Erleichterung durch digitale Formate/Tools in der Berichtserstattung.
Wichtig ist festzuhalten, dass es sich bei den bisher vorliegenden Omnibus-Vereinfachungen um Vorschläge der EU-Kommission handelt. Diese liegen am Verhandlungstisch und werden derzeit vom EU-Parlament und den Mitgliedstaaten im Rat diskutiert, geprüft und können auch noch abgeändert werden. Trotz hohem Verhandlungstempo und dem allgemeinen Bekenntnis zur Wichtigkeit von Bürokratieabbau ist frühestens im 4. Quartal 2025 mit einem inhaltlichen Beschluss zum ersten Omnibus zu Nachhaltigkeit (CSRD, Lieferketten-Richtlinie) zu rechnen. Mit einer Ausnahme: die zeitliche Verschiebung der Anwendung im Hinblick auf CSRD und CSDDD – der sogenannte "Stop-the-Clock"-Vorschlag – wurde bereits beschlossen:
- CSRD: demzufolge verschiebt sich die verpflichtende Nachhaltigkeitsberichterstattung für große Unternehmen, die noch nicht mit der Berichterstattung begonnen haben, und für börsennotierte KMU um zwei Jahre. Erstere müssen im Jahr 2028 erstmals über das Berichtsjahr 2027, börsennotierte KMU im Jahr 2029 erstmals über das Berichtsjahr 2028 einen Nachhaltigkeitsbericht gemäß CSRD-Vorgaben veröffentlichen.
- CSDDD: Die EU-Mitgliedstaaten haben bis zum 26. Juli 2027 Zeit, die CSDDD in nationales Recht umzusetzen; betroffene Unternehmen müssen die CSDDD ab Juli 2028 anwenden; Leitlinien der EU-Kommission werden bis Juli 2026 herausgegeben.
Ein weiterer "Stop-the-Clock"-Vorschlag betrifft die EU-Batterie-Verordnung im Rahmen des vierten Omnibus-Pakets, das aktuell noch verhandelt wird. Demnach könnte die Umsetzungsfrist für Batterien geltende Sorgfaltspflichten für Wirtschaftsakteure um zwei Jahre (auf 18. August 2027) verschoben werden. Mit anderen Worten, die Omnibus-Pakete seitens der EU-Kommission sind gestartet, und jetzt braucht es gemeinsame Anstrengungen von EU-Parlament und Rat/Mitgliedstaaten, um diese auch tatsächlich ans Bürokratieabbauziel zu bringen bzw. zu vermeiden, dass sie von nationalen Regelungen - Stichwort: Gold Plating - wieder gebremst werden.
Mehr Spielraum für kleine und mittlere Unternehmen
Welche Unternehmen sind besonders betroffen?
Lales: 99 % der Unternehmen in der EU sind Klein- und Kleinstbetriebe mit weniger als 50 Mitarbeitenden. Generell sind KMU überproportional von Bürokratieaufwand betroffen. Sie haben klarerweise keine Rechts- und Compliance-Abteilungen, um ausufernde Berichtspflichten zu erfüllen. Laut einer Umfrage des Market Instituts vom Frühjahr 2024 muss ein österreichisches KMU im Durchschnitt fast 20 Stunden pro Woche für Bürokratie aufwenden, rund 2/3 der KMU fühlen sich durch Bürokratie stark belastet.
Hinzu kommt, dass in einigen Bereichen KMU zwar keinen direkten Verpflichtungen unterliegen – wie bspw. in der CSDDD – dennoch können sie indirekt betroffen sein, wenn große Unternehmen entlang der Lieferkette Informationen anfordern, um ihren Sorgfaltspflichten nachzukommen. Diesem sogenannten "Trickle-Down-Effekt" möchte die EU-Kommission mit dem ersten Omnibus-Paket entgegenwirken und hier die Informationsanforderungen an KMU beschränken.
Unternehmen benötigen Planungs- und Rechtssicherheit
Welche Effekte sind durch die Omnibus-Vorschläge für die heimische Wirtschaft zu erwarten?
Lales: Der Standort Europa ist unter Druck und Unternehmen benötigen mehr Freiraum – die Betriebe sollen sich wieder auf das Wesentliche konzentrieren können: ihr Geschäft und ihre Kunden, nicht auf Formulare und Berichte. Durch die Omnibus-Vorschläge erwarten wir einerseits konkrete Erleichterungen für Unternehmen durch vereinfachte Berichtspflichten und pragmatische, praxisnahe Umsetzung von bestehenden EU-Vorschriften.
Auch hoffen wir, dass das Momentum auf EU-Ebene für Vereinfachungen anhält und die Mitgliedstaaten und das EU-Parlament möglichst bald zu einer Einigung zu den einzelnen Omnibus-Paketen kommen. Denn Unternehmen benötigen rasch Planungs- und Rechtssicherheit, damit sie sich frühzeitig auf die jeweilige Rechtslage einstellen können. Aus Sicht der heimischen Wirtschaft ist zudem die Verschiebung des Anwendungsbeginns von CSRD und CSDDD ein wichtiger Zeitgewinn. Dieser muss dafür genutzt werden, auch inhaltliche Vereinfachungen zu erzielen.
Zusätzlich müssen weitere EU-Rechtsakte des Green Deals – wie z.B. die EU-Entwaldungsverordnung oder die Ökodesign-Verordnung – überprüft und angepasst werden, um Mehrfachbelastungen zu reduzieren und substanziell zu vereinfachen. Wie groß das Entlastungspotenzial im Bereich der Bürokratie ist, zeigen die über 120 konkreten WKÖ-Vorschläge zur Vereinfachung und zur Verringerung des Verwaltungsaufwands für 56 EU-Rechtsakte in verschiedenen Politikbereichen.
Bürokratieabbau wäre darüber hinaus ein sofort wirksamer, nachhaltiger Booster für die Konjunktur – und kostet nichts. Laut einer Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts EcoAustria würde jeder Euro, den Unternehmen weniger für Informations- und Erfüllungspflichten aufwenden müssen, das BIP mittel- bis langfristig in Österreich um 1,62 Euro erhöhen.
INFO-TIPP: Nachhaltigkeits-Informationsportal der WKÖ
Du willst dir gezielt einen Überblick zu verschaffen, welche Nachhaltigkeitsvorschriften für österreichische Unternehmen ab welcher Größe gelten und welche geplant sind?
Alle relevanten Infos findest du am Nachhaltigkeits-Informationsportal der WKÖ!
Stichwort Nachhaltigkeit: Welche Auswirkungen sind durch die Omnibus-Initiative in puncto Erreichung der Klimaziele zu erwarten?
Lales: Es geht bei den Omnibus-Vorschlägen nicht um Deregulierung, sondern darum, bestehende politische Ziele auf möglichst effiziente und intelligente Weise zu erreichen, ohne Unternehmen mit überschießender Regulierung zu belasten. Die österreichische Wirtschaft bekennt sich zu nachhaltigem und verantwortungsvollem Wirtschaften, jedoch müssen die Ziele auf eine praxistauglichere und weniger belastende Weise erreicht werden, um die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen zu stärken.
Wie die EU-Kommission betont, stehen die politischen Ziele des Europäischen Green Deals nicht zur Diskussion, sehr wohl aber der Weg dorthin. Wir brauchen dafür mehr Flexibilität, mehr Pragmatismus und weniger starre, überbordende Regulierungen, damit der Wandel auch für alle Unternehmen und insbesondere KMU tatsächlich machbar ist und wir damit auch Wachstum, Wohlstand und Innovation fördern und zu unseren internationalen Mitbewerbern wieder aufschließen können.
Das Wichtigste in Kürze:
- Die EU plant bis 2029 eine EU-Bürokratie-Reduktion von 25 %, bei KMU sogar 35 %
- Omnibus-Pakete bündeln Gesetzesänderungen für mehr Kohärenz und Effizienz
- "Stop-the-Clock" verschiebt die Anwendung von CSRD- und CSDDD-Pflichten
- KMU sollen weniger Berichtspflichten und digitale Tools nutzen können
- Die WKÖ fordert: praxistaugliche Regelungen und keine nationalen Verschärfungen (Gold Plating)