Energiepreise in Europa: Keine Besserung ohne Eingriff in die Merit Order

Kann die EU mit Übergewinn-Abschöpfung und Solidaritätsbeitrag die Energiepreise in den Griff kriegen? Nein, sagt Energie-Experte Jürgen Streitner.


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  • Wissenshungrige
  • Wirtschaftsexpert:innen

Lesedauer:

2 Minuten

AutorIn: Peter Draxler

Stromleitungen i
peterschreiber.media | stock.adobe.com

Warum die EU mit der Abschöpfung von Übergewinnen das Problem der hohen Energiepreise nicht lösen wird und wie eine gezielte Intervention in die Merit Order helfen könnte, erklärt WKÖ-Experte Jürgen Streitner.

Ein EU-weit abgestimmtes Vorgehen gegen die explodierenden Energiepreise: Das war das Ziel des Treffens der EU-Energieminister:innen Ende September 2022. Herausgekommen sind drei konkrete, befristete Sondermaßnahmen. Sie gelten vom 1. Dezember 2022 bis zum 31. Dezember 2023:

  • Nachgelagerte Abschöpfung der Übergewinne: Die Mitgliedsstaaten führen eine verbindliche Preisobergrenze für Strom von 180 € pro MWh ein. So sollen die Überschusserlöse von Anbieter:innen von günstig produziertem Strom, etwa aus erneuerbaren Energien, aber auch Kernernergie, für Maßnahmen zur Unterstützung der Stromendkund:innen genutzt werden.
  • Reduzierung des Strombedarfs: Die Minister:innen einigten sich auf zwei Reduktionsziele, eine freiwillige Reduktion des Bruttostromverbrauches von 10 % und eine verbindliche Reduktion des Stromverbrauchs in Spitzenzeiten um mindestens 5 % im Stundendurchschnitt. Diese Spitzenzeiten müssen 10 % der Stunden innerhalb der Periode 1. Dezember 2022 und 31. März 2023 umfassen.
  • Einführung eines Solidaritätsbeitrags: Auf die Überschussgewinne von Unternehmen im Erdöl-, Erdgas-, Kohle- und Raffineriebereich wird ein Solidaritätsbeitrag in der Höhe von 33 % auf jene Gewinne eingehoben, die mehr als 20 % über den durchschnittlichen steuerpflichtigen Gewinnen der vier Haushaltsjahre beginnend ab dem 1. Januar 2018 liegen.
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Symptombekämpfung statt Wurzelbehandlung

Reicht dieses Maßnahmenpaket aus, um die explodierenden Energiepreise in den Griff zu kriegen? Das haben wir Jürgen Streitner gefragt, den Leiter der Abteilung Umweltpolitik in der WKÖ. Und der ist durchaus skeptisch. Das große Problem aus seiner Sicht: Es ist zwar positiv, dass man auf EU-Ebene versucht, zu unterstützen. Die vorgeschlagenen Maßnahmen greifen aber viel zu kurz: "Statt das Problem an der Wurzel anzugehen, also bei der Gestehung der Strompreise, werden mit den entstehenden Übergewinnen bloß die Symptome bekämpft."

Eine echte Lösung wäre dagegen eine gezielte und befristete Intervention in die Merit Order. So könnten auf europäischer Ebene Strom- und Gaspreis entkoppelt werden.

Jürgen Streitner, Leiter der Abteilung Umweltpolitik in der WKÖ

Liquidität bleibt gebunden

Nicht nur ist das bürokratisch aufwendig, weil die Übergewinne über nachträgliche Förderungen rückgeführt werden müssen. Es bringt auch keine echte Entlastung für die Endkund:innen. Denn Liquidität bleibt gebunden - zumindest vorübergehend. WKÖ-Energieexperte Streitner: "Eine echte Lösung wäre dagegen eine gezielte und befristete Intervention in die Merit Order. So könnten auf europäischer Ebene Strom- und Gaspreis entkoppelt werden."

Wettbewerbsverzerrungen durch individuelle Maßnahmen

Nicht zuletzt können durch die individuellen Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten innereuropäischen Wettbewerbsverzerrungen entstehen, sagt Streitner: "Für eine echte Entlastung und ein faires Level Playing Field braucht es Eingriffe in die Großhandelspreise auf europäischer Ebene."

Das Wichtigste in Kürze:

  • Ende September haben sich die EU-Energieminister:innen zur Bekämpfung der hohen Energiepreise auf die Abschöpfung von Übergewinnen, die Senkung des Strombedarfs und die Einführung eines Solidarbeitrags geeinigt.
  • Diese Maßnahmen gelten vom 1. Dezember 2022 bis zum 31. Dezember 2023.
  • Für den Energie-Experten Jürgen Streitner greifen sie jedoch zu kurz, weil das Problem an der Wurzel angegangen werden muss.
  • Aus Streitners Sicht braucht es eine gezielte und befristete Intervention in die Merit Order. So könnten auf europäischer Ebene Strom- und Gaspreis entkoppelt werden.