Emily Mansfield, Europa-Regionaldirektorin der Economist Intelligence Unit (EIU), erklärt im MARI€-Interview, warum Europa wirtschaftlich robuster ist als gedacht – und wie Unternehmen jetzt strategisch von Exportchancen profitieren können.
Globale Unsicherheiten und dennoch positive Signale für Europa? Die Ökonomin und Exporttag-Keynote-Speakerin Emily Mansfield sieht genau darin eine wirtschaftliche Chance für österreichische Unternehmen. Im MARI€-Interview erklärt sie, warum der europäische Markt robuster ist als viele denken – und wie kluge Unternehmen jetzt strategisch von den neuen Investitionsprogrammen, der Handelsdynamik und den Innovationsimpulsen profitieren können.
Warum Europa wirtschaftlich widerstandsfähiger ist als gedacht
In Ihrer Analyse sprechen Sie trotz aller globalen Unsicherheiten von "positiven Aussichten" für Europa und Österreich. Worauf basiert dieser Optimismus? Und wie stabil ist die wirtschaftliche Erholung Europas wirklich?
Emily Mansfield: Die Unsicherheit ist derzeit aufgrund der radikalen Umwälzungen des globalen Handelssystems durch Trump enorm hoch. Das ist natürlich für Unternehmen, die große Investitionen planen, fatal und birgt Risiken für das Wachstum. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass die Wirtschaft, die am stärksten von den Zöllen betroffen sein wird, jene der USA ist, wo wir nun für dieses Jahr eine Rezession erwarten. Europa hingegen ist stark dienstleistungsorientiert – über 70% der österreichischen Wirtschaft sind Dienstleistungen, ebenso wie über 60% der Exporte – und diese sind von den US-Zöllen nicht betroffen.
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Es gibt auch eine Reihe von Gründen für eine optimistische Einschätzung Europas. Zum einen sinken endlich die Inflation und die Zinsen, was nach einer längeren Phase des Drucks auf die Lebenshaltungskosten zu einer Belebung des Konsums führen wird. Niedrigere Energiekosten und ein schwächerer Dollar tragen ebenfalls zu diesem Trend bei. Zum anderen hat es in diesem Jahr eine massive und sehr bedeutende Wende in der deutschen Finanzpolitik gegeben, mit der Ausnahmeregelung für Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse und der Einrichtung eines 500 Milliarden Euro schweren Infrastrukturfonds. Sobald sich dies wahrscheinlich ab 2026 in höheren Investitionsausgaben niederschlägt, dürfte dies für österreichische Unternehmen große neue Exportchancen eröffnen.
Neue Exportchancen für Österreich durch EU-Initiativen und Freihandel
Wo sehen Sie derzeit konkrete wirtschaftliche Chancen für die österreichische Exportwirtschaft – sei es durch neue Handelspartner, EU-Förderprogramme oder Innovationsinitiativen?
Mansfield: Der wichtigste Nachfrager für Unternehmen bleibt Deutschland, wohin 80% der österreichischen Exporte gehen. Wir beobachten jedoch auch, dass die unberechenbare Zollpolitik der USA das Interesse an der EU als berechenbarerem Handelspartner steigert und die Bemühungen der EU um den Abschluss von Freihandelsabkommen beschleunigt, um Unternehmen bei der Diversifizierung weg von den USA zu unterstützen. Die EU hat im Dezember nach 25-jährigen Verhandlungen eine Einigung mit dem südamerikanischen Handelsblock Mercosur erzielt, die voraussichtlich im nächsten Jahr ratifiziert wird. Gespräche mit Indien, Australien und den Vereinigten Arabischen Emiraten sind ebenfalls im Gange.
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Was neue EU-Programme betrifft, die für die österreichische Exportindustrie von Bedeutung sein werden, ist der Verteidigungsausgabenplan "ReArm EU" zu beobachten, der darauf abzielt, den schwächer werdenden Sicherheitsgarantien der USA entgegenzuwirken. Dieser sieht vor, durch eine Kombination aus höheren Haushaltsausgaben der EU-Mitgliedstaaten und Vorzugskrediten 800 Milliarden Euro für militärische Investitionen zu mobilisieren. Angesichts der steigenden Verteidigungsausgaben Deutschlands und des Drängens Frankreichs, europäische Produkte zu kaufen, werden sich in diesem Sektor wachsende Chancen ergeben. Auch die Finanzierung grüner Technologien wird wichtig sein, da Europa durch die Kürzung der US-Subventionen in diesem Bereich vergleichsweise attraktiver wird.

Die demografische Entwicklung wird die Arbeitskräfte in Europa in den kommenden Jahren vor wachsende Herausforderungen stellen, und es wird in der Tat wichtig sein, proaktiv darauf zu reagieren.
Strategische Trends, die Unternehmer:innen im Blick behalten sollten
Sie betonen, wie wichtig es ist, wichtige wirtschaftliche Trends rechtzeitig zu erkennen und strategisch zu nutzen. Welche Entwicklungen sollten österreichische Unternehmer derzeit besonders im Auge behalten – auch im Hinblick auf Digitalisierung, Demografie und Nachhaltigkeit?
Mansfield: Die demografische Entwicklung wird die Arbeitskräfte in Europa in den kommenden Jahren vor wachsende Herausforderungen stellen, und es wird in der Tat wichtig sein, proaktiv darauf zu reagieren. Einwanderung ist ein politisch zu sensibles Thema, um die Lösung sein zu können, aber Investitionen in Umschulungsinitiativen und Maßnahmen zur Erhöhung der Erwerbsbeteiligung – wie beispielsweise die Verbesserung der Kinderbetreuung – wären hilfreich. Der Aufstieg Chinas als Wettbewerber ist ein weiterer Trend, und wir werden in den kommenden Jahren wahrscheinlich neue EU-Handelsbarrieren zum Schutz strategisch wichtiger Industrien erleben. Schließlich dürfte der EU-Kohlenstoffgrenzausgleichsmechanismus, der 2026 in Kraft treten soll, dazu beitragen, die Nachfrage der EU und weltweit nach emissionsärmer hergestellten Gütern anzukurbeln.
Wie Europa langfristig als Wirtschaftsstandort attraktiv bleibt
Was muss Europa Ihrer Meinung nach tun, um seine Position als attraktiver Wirtschaftsstandort langfristig zu halten – insbesondere im Vergleich zu den USA oder Asien?
Mansfield: Die europäischen Länder nehmen bereits viele der Spitzenplätze in unserem globalen Ranking der besten Wirtschaftsstandorte ein (Österreich liegt weltweit auf Platz 24) und werden langfristig weiterhin von robusten Institutionen, einer hervorragenden Infrastruktur und ihrer geografischen Lage innerhalb des größten Verbrauchermarktes der Welt profitieren. Wie jedoch aus dem Bericht von Mario Draghi über die Wettbewerbsfähigkeit der EU im letzten Jahr hervorgeht, liegt das Produktivitätswachstum weit hinter dem der USA und Chinas zurück, was durch die schlechten demografischen Aussichten der Region noch verschärft wird. Mehr Investitionen, speziell in Innovation, werden entscheidend sein. Die Vollendung der Kapitalmarktunion, damit Unternehmen effektiver expandieren können, wäre ebenfalls ein wichtiger Schritt. Am einfachsten zu erreichen ist die Verringerung der regulatorischen Belastungen – und wir erwarten zumindest in diesem Jahr Fortschritte in diesem Bereich.
Das Wichtigste in Kürze:
- Europa zeigt trotz Unsicherheiten wirtschaftliche Erholung, gestützt durch sinkende Inflation, Investitionsimpulse und robuste Dienstleistungsmärkte.
- Österreichische Exporte profitieren von neuen EU-Handelsabkommen und strategischen Investitionsprogrammen wie „ReArm EU“.
- Die EU positioniert sich als verlässlicher Handelspartner, während die USA durch ihre Zollpolitik an Attraktivität verlieren.
- Langfristige Trends wie Demografie, Green Tech und Digitalisierung erfordern strategisches Handeln von Unternehmen.
- Europas Wettbewerbsfähigkeit braucht Investitionen, Entbürokratisierung und Kapitalmarktreformen, um mit den USA und China Schritt zu halten.