Warum Unternehmen geopolitisch denken müssen

Geopolitik wird zur Wirtschaftssache – Politologe Herfried Münkler erklärt, warum.


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5 Minuten

AutorIn: Peter Draxler

Silhouette einer Frau vor einer Weltkarte i
Johannes | stock.adobe.com

Politische Umbrüche betreffen nicht nur Regierungen, sondern auch Unternehmen. Im MARI€-Interview erklärt der renommierte Politologe und Exporttag-Keynote-Speaker Herfried Münkler, wie österreichische Betriebe geopolitisch klug agieren können.

Kriege, Machtverschiebungen, neue Allianzen – die Weltordnung ist in Bewegung. Für Österreichs Unternehmen ist das kein abstraktes Szenario, sondern Alltag: Lieferketten stehen unter Druck, Märkte verändern sich, politische Risiken steigen. Der renommierte Politologe Herfried Münkler erklärt im Interview, warum geopolitisches Denken zur Grundausstattung jeder Unternehmensstrategie gehören sollte – und wie wir uns im globalen Spannungsfeld zwischen China, den USA und Europa wirtschaftlich souverän aufstellen.

Warum geopolitische Entwicklungen für Unternehmen relevant sind

Herr Professor Münkler, Sie sprechen von einer tektonischen Verschiebung in der globalen Ordnung. Warum ist es gerade für Unternehmen wichtig, diese Entwicklungen genau im Blick zu behalten – und nicht nur der Politik zu überlassen?

Herfried Münkler: Tektonische Verschiebungen sind Veränderungen der Erdplatten, was dann zu Erdbeben führt, die immer wieder stattfinden, sich aber nicht verhindern lassen, und bei denen man weder sagen kann, wann sie sich ereignen werden, noch wo genau das stattfinden wird. Analoges beobachten wir zurzeit in der globalen Ordnung und den diversen Kriegen. Dazu gehört auch der Aufstieg von politischen Führungsfiguren und deren erratisches Agieren, was man sich vor einigen Jahren nicht an der Spitze eines Staates hätte vorstellen können, zumal dort nicht, wo sie in demokratischen Wahlen an - die Schalthebel der Macht kommen. Unternehmen sind auf die eine oder andere Weise in solche Prozesse involviert: durch die Veränderung der terms of trade, durch einen plötzlichen Anstieg der Nachfrage nach Rüstungsgütern, durch die Verunsicherung der Märkte und vieles mehr. 

Veranstaltungstipp: Exporttag 25 am 3. Juni 2025

Noch mehr Expertise von Herfried Münkler gibt es im Rahmen seiner Keynote "Geopolitische Resilienz im 21. Jahrhundert: Sicherheit und Wirtschaft im Gleichgewicht" am Exporttag 25 am 3. Juni 2025 in der Wirtschaftskammer Österreich

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Sie müssen sich auf disruptive Veränderungen einstellen, was sie nicht gewohnt sind; sie müssen lernen, flexibel sein, um reagieren zu können, aber auch resilient, um schwierige Perioden durchzustehen. Sie können die Rahmenbedingungen nicht ändern, insofern es sich um „tektonische Verschiebungen“ handelt, schon gar nicht dann, wenn dies auch die Politik nicht kann, aber sie können im Kontakt mit den politischen Institutionen sich auf solche Veränderungen vorbereiten, indem sie Informationen austauschen, einen Wissensvorrat über Disruptionen aufbauen und auf die ökonomischen Folgen politischer Entscheidungen hinweisen. Dabei sollten sie klug vorgehen und nicht bei jeder Gelegenheit Alarm schlagen, wenn sie es mit einer Konjunkturdelle zu tun haben, sondern nur dann, wenn es im Sinne der tektonischen Verschiebungen wirklich ernst ist.

Wirtschaftlich klug agieren zwischen China, USA und Europa

Die beiden Großmächte China und USA dominieren zunehmend das globale Geschehen – wirtschaftlich wie geopolitisch. Europa, und damit auch Österreich, gerät dabei immer stärker unter Druck, sich zu positionieren. Was bedeutet dieses Spannungsfeld für österreichische Unternehmen – und wie lässt sich in dieser Lage wirtschaftlich klug agieren, ohne zerrieben zu werden?

Münkler: Wenn man nur auf China und die USA schaut, sieht man zu wenig: Man muss ebenso Russland und Indien mit in den Blick fassen, um, wenn man die EU noch dazu nimmt, die fünf Mächte, die Pentarchie, zu sehen, die in den nächsten Jahrzehnten die globale Ordnung prägen dürfte. Um auf Ihre Frage einzugehen: die EU muss so umgebaut werden, dass sie mit den vier anderen Mächten "auf Augenhöhe" steht. Das heißt, sie muss selbst eine Macht werden. Das ist bei fast allen Parametern möglich, mit Ausnahme der militärischen Selbstbehauptungsfähigkeit, der wissenschaftlich-technologischen Dynamik und der politischen Handlungsfähigkeit. Das Problem Europa ist also nicht seine Positionierung zwischen den USA und China, sondern seine Transformation zu einem politisch handlungsfähigen Akteur.

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Solange Europa nur ein großer Markt bleibt, ist es den politischen Pressionen der USA (und Russlands) sowie der Warenüberflutung durch China ausgeliefert. Es bekommt die Regeln des Spiels von dort vorgegeben, politisch und wirtschaftlich. Für österreichische Unternehmer heißt das, dass es jetzt klug ist, sich für die Stärkung der EU einzusetzen und nicht der rechtspopulistischen Versuchung eines Sonderwegs außerhalb der EU zu erliegen. Letzteres kann kurzfristig attraktiv sein, ist auf längere Sicht aber ein Weg in die Bedeutungslosigkeit.

Geopolitisches Risiko strategisch managen: Frühindikatoren erkennen

In einer Welt zunehmender Ungewissheit stellt sich für Unternehmen die Frage: Wie lässt sich geopolitisches Risiko überhaupt strategisch einplanen? Gibt es Frühindikatoren, auf die österreichische Unternehmen besonders achten sollten?

Münkler: Im Nachhinein kann man sagen, dass es sowohl hinsichtlich des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine als auch für die von Trump in Gang gesetzte Zerstörung der globalen Wirtschaftsordnung eine Fülle von Frühindikatoren gegeben hat. Das Problem war indes, sie angemessen zu interpretieren und sie dann im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit des Denkbaren zu gewichten. Man kann das strategische Urteilsfähigkeit nennen. Die aber muss entwickelt und trainiert werden. Sie ist kein Produkt akademischer Ausbildung. Ich kann das nur für die Politik im Deutschland einigermaßen beurteilen, aber da scheint mir diese Fähigkeit verkümmert zu sein, weil die Zeitperspektiven der meisten Politiker so angelegt sind, dass sie allenfalls taktisch, aber nicht strategisch denken. Das ist auch ein Ausdruck der Sorglosigkeit, die sich nach dem Ende des Ost-West-Konflikts ausgebreitet hat: die Vorstellung, Strategie lasse sich in Planung und Organisation überführen.

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Wir werden auf längere Zeit sehr viel mehr mit Disruptionen zu tun haben als mit Kontinuitäten.

Herfried Münkler

Aber im Fall der Strategie hat man es mit einem Gegenspieler zu tun, der uns beobachtet und aus den Beobachtungen seine Schlüsse zieht, der also permanent lernt. Bei Planung und Organisation gibt es diesen Gegenspieler nicht; er ist in der methodischen Herangehensweise zum Verschwinden gebracht. Lange Rede kurzer Sinn: das Trainieren strategischen Denkens ist der Schlüssel zu allem. Auf die Wirtschaft bezogen heißt das: man sollte sich nicht nur von Wirtschaftswissenschaftlern beraten und beeinflussen lassen, die die Datenmengen der Gegenwart aggregieren und sie in die Zukunft extrapolieren, was dann lineare Entwicklungsverläufe ergibt, sondern sich sehr viel mehr Gedanken über Disruptionen machen. Wir werden auf längere Zeit sehr viel mehr mit Disruptionen zu tun haben als mit Kontinuitäten.

Neue Exportchancen in einer Welt im Umbruch

Trotz globaler Unsicherheiten entstehen durch Machtverschiebungen auch neue wirtschaftliche Chancen. Welche Regionen oder Entwicklungen sehen Sie aktuell als besonders interessant für Österreichs Exportwirtschaft – auch abseits der klassischen Märkte?

Münkler: Ich denke, der Balkan ist und bleibt für Österreich und seine Unternehmen interessant und wichtig – neben dem EU-Raum selbstverständlich. Und auf dem Balkan ist einiges in Bewegung, von drohenden Gewaltkonflikten bis zum EU-Beitritt der Westbalkanländer. Ansonsten muss man sehen, welche Chancen sich durch die Zollblockaden zwischen den USA und China ergeben: Wo der Eine verliert, kann ein Anderer gewinnen.

VIDEO: USA, China, Russland: Kippt das globale Machtgefüge, Herr Münkler?

Wirtschaftliche Souveränität durch ein starkes Europa

Europa befindet sich wirtschaftlich wie sicherheitspolitisch in einer Findungsphase. Was braucht es aus Ihrer Sicht, damit Europa – und damit auch Länder wie Österreich – wirtschaftspolitisch souveräner agieren kann?

Münkler: Vorerst dürfte nicht wirtschaftspolitische Souveränität der einzelnen Länder, sondern die Selbstbehauptung der EU als Ganzes auf der Tagesordnung stehen – auch deswegen, weil Trump und Xi die Europäer gegeneinander auszuspielen trachten, um anschließend carte blanche im Umgang mit den Europäern zu haben. Ein Rückbau der bürokratischen Regelungen in der EU wird freilich um so eher möglich sein, je mehr die EU zu einem politisch handlungsfähigen Akteur wird: Dann ist das Gestrüpp der bürokratischen Regelungen nicht mehr vonnöten, um die 27 Mitgliedstaaten zusammenzuhalten. Und daraus kann größere Beweglichkeit entstehen, auch und gerade für Unternehmen.

Das Wichtigste in Kürze:

  • Globale Machtverschiebungen wirken sich direkt auf Unternehmen aus – strategische Resilienz wird zur Pflicht.
  • Europa muss zur Macht werden, um im Spannungsfeld zwischen China, USA, Russland und Indien nicht zerrieben zu werden.
  • Strategisches Denken ist trainierbar – Unternehmen sollten geopolitische Frühindikatoren ernst nehmen.
  • Neue Chancen entstehen, etwa auf dem Westbalkan oder durch globale Handelsumlenkungen.
  • Ein politisch handlungsfähiges Europa schafft langfristig bessere Rahmenbedingungen für wirtschaftliche Souveränität.