Wie die EU das große Ganze baut

Wo die Zuständigkeiten in der Europäischen Union liegen und wie das Regelwerk funktioniert.


Wer diesen Beitrag lesen sollte:

  • Wissenshungrige
  • Global Player

Lesedauer:

4 Minuten

AutorIn: Rosa Schwalbe

Papierschiffchen mit Österreich- und EU-Flagge i
M.Dörr & M.Frommherz

Je größer ein Wirtschaftsraum, umso mehr Chancen - auch am Weltmarkt: Wie Österreich mit der EU interagiert, ist ein komplexes Zusammenspiel – das sich jeden Tag wieder bewähren muss.

713 Milliarden Euro: Auf diesen Wert wird das Wachstumspotenzial des europäischen Binnenmarkts bis Ende 2029 beziffert.

Wer wirtschaftlich denkt, weiß: Je größer der Markt - und dessen Potenzial - umso besser die Chancen. Der Wettbewerb auf dem globalen Parkett ist rau, in den kommenden Jahrzehnten muss Europa seine Position als "global player" gegen die USA und China verteidigen. Österreich als kleines Land kann vom Verbund in der EU also nur profitieren.

Aber wie genau? Und wie sieht eigentlich die Verteilung der Zuständigkeiten aus? Deren gibt es 4 und wir erklären dir diese im Artikel. 

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WKÖ/DMC

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Gemeinsame Regelwerke: Ausschließliche Zuständigkeit

Für die EU hat von Anfang an vor allem der gemeinsame Wirtschaftsraum Priorität. Um ihn Wirklichkeit werden zu lassen, gibt es verschiedene Grade von Zuständigkeiten. Das alles ist in den Europäischen Verträgen festgelegt.

Zentral sind die ausschließlichen Zuständigkeiten, die in folgenden Bereichen gelten:

  • Zollunion
  • Wettbewerbsregeln im Binnenmarkt
  • Währungspolitik
  • Handel und internationale Abkommen

Jeder neue Gesetzesvorschlag muss sich jedoch nicht nur auf einen EU-Vertrag beziehen, sondern sich in einem mehrstufigen, demokratischen Entscheidungsfindungsprozess bewähren – und wie in demokratischen Abstimmungen üblich, sind Kompromisse oder das Akzeptieren von Mehrheiten ein Teil davon. Dass dabei einige Teilnehmende immer wieder unzufrieden sein können, liegt in der Natur demokratischer Abstimmungen.

Flexiblere Spielräume: Geteilte Zuständigkeit

Es gibt auch Bereiche, in denen die Mitgliedsländer selbst die Initiative ergreifen können – dann nämlich, wenn die EU in diesem Bereich noch keine Rechtsvorschriften erlassen hat.

Diese sogenannte geteilte Zuständigkeit besteht in den Bereichen:

  • Binnenmarkt
  • Beschäftigung und Soziales
  • Wirtschaftlicher, sozialer und territorialer Zusammenhalt
  • Landwirtschaft
  • Fischerei
  • Umwelt
  • Verbraucherschutz
  • Transport
  • Transeuropäische Netze
  • Energie
  • Justiz und Grundrechte
  • Migration und Inneres
  • Öffentliche Gesundheit (bei bestimmten Aspekten)
  • Forschung und Raumfahrt
  • Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe

National individuellere Gestaltungsrahmen: Unterstützende Zuständigkeit

Die Mitgliedsländer der EU sind sehr unterschiedlich und deshalb auch schwer auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Subsidiarität – also das Prinzip, dass die EU nur dann tätig werden darf, wenn Themen nicht auf regionaler oder nationaler Ebene zufriedenstellend gelöst werden können – kann deshalb in bestimmten Bereichen sinnvoller sein.

Unterstützende Zuständigkeit ist der Fachbegriff und er betrifft folgende Bereiche:

  • Öffentliche Gesundheit
  • Industrie
  • Kultur
  • Tourismus
  • Allgemeine und berufliche Bildung, Jugend und Sport
  • Zivilschutz
  • Administrative Zusammenarbeit

Für Sonderfälle: Besondere Zuständigkeiten

Und schließlich gibt es jene Bereiche, die eine Sonderstellung einnehmen, weil sie das Überleben der Europäischen Union sichern könnten. Damit hat die EU die Möglichkeit, Entscheidungen zu treffen, die über die Europäischen Verträge hinausgehen.

Sie werden als besondere Zuständigkeit bezeichnet und können folgende Bereiche betreffen:

  • Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik
  • Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
  • Flexibilitätsklausel (wurde für die Erweiterung von Regelungsbereichen genutzt, die nicht im Europäischen Grundrechtevertrag enthalten waren)

Gemeinsam weiter entwickeln: Die Agenda EU 2024+

Um die europäische Wirtschaft und deren Märkte resilient zu machen und in der Lage zu sein, auf die vielen neuen Anforderungen zu reagieren, hat die WKÖ mit der Agenda EU 2024+ anhand von 5 Punkten zentrale Anliegen formuliert: 

  • Wettbewerbsfähigkeit steigern durch einen vertieften Binnenmarkt und aktive Handelspolitik
  • Nachhaltige Transformation mit leistbarer und sicherer Energieversorgung
  • Forschung und Innovation als Treiber der KMU- und Industriepolitik
  • Strategie zur Fachkräftesicherung entwickeln
  • Nachhaltige öffentliche Finanzen sichern und Kapitalmarktunion weiterentwickeln

Von Brüssel nach Österreich: Verordnungen und Richtlinien

Auch die Art der Gesetzgebung ist ausschlaggebend für das große Ganze. Wenn die EU Verordnungen erlässt, dann müssen diese in allen Mitgliedsländern unmittelbar angewendet werden. Wenn ein Staat ausschert, kann die EU-Kommission sie einklagen. In Richtlinien hingegen werden nur Grundsätze festgelegt. Die einzelnen Mitgliedstaaten haben dann die Aufgabe, sie in nationales Recht umzusetzen. Auch damit wird Rücksicht auf die unterschiedlichen Voraussetzungen in den einzelnen Nationalstaaten genommen. Schätzungen zufolge werden rund 80% der Wirtschaftsgesetzgebung heute auf EU-Ebene geregelt.

Andere Bereiche wiederum, z.B. Justiz oder Forstwirtschaft, sind von Land zu Land unterschiedlich.

Wie funktioniert die Gesetzeswerdung? 

Von der Idee bis zum Beschluss muss ein Gesetzesvorschlag eine Reihe von Stufen durchlaufen, damit eine breite Meinungsbildung und Feedback-Schleifen erfolgen können. Sie sind integrativer Bestandteil dieses Prozesses. Die Besonderheit in der EU: Nur die Kommission kann einen Gesetzwerdungsprozess einleiten. Sie verlässt sich in ihren Einschätzungen dabei auf die Expertise ihrer Generaldirektionen, in denen das Fachwissen versammelt ist. Jeder neue Gesetzesvorschlag wird in einem Fahrplan oder einer Folgenabschätzung evaluiert.

Auch Bürger:innen können im Wege der Europäischen Bürgerinitiative der EU neue Maßnahmen oder Rechtsvorschriften vorschlagen. Damit wird eine breite Meinungsbildung gewährleistet.

In weiterer Folge unterbreitet die Europäische Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union (Ministerrat) den Gesetzesvorschlag, der ihn entweder in erster oder in zweiter Lesung annimmt. Wird keine Einigung erzielt, wird ein Vermittlungsausschuss einberufen und ein Kompromiss in der dritten Lesung erarbeitet. Erst wenn Parlament und Rat einverstanden sind, wird der Rechtsakt erlassen. Ist das nicht der Fall, wird das Verfahren beendet.

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Europäische Union ist ein komplexes Gebilde, das auf Basis von demokratischen Entscheidungsprozessen ihre Mitgliedsländer in einen immer stärker vernetzten gemeinsamen Wirtschaftsraum integrieren will.
  • Dafür gibt es unterschiedliche Arten von Zuständigkeiten, die verschiedene Bereiche der Wirtschaft und damit der Gesellschaft regeln.
  • Der Gesetzwerdungsprozess in der EU ist ein mehrstufiges Verfahren. Es gibt Verordnungen, die in allen EU-Mitgliedstaaten unmittelbar gelten und Richtlinien, die auf nationaler Ebene umgesetzt werden müssen.
  • Die WKÖ bringt sich mit ihrer Agenda EU 2024+ und den darin enthaltenen Forderungen aktiv in den demokratischen Diskussionsprozess ein. Die Forderung nach Wettbewerbsfähigkeit und einer Kapitalmarktunion sind hier zentral.