Warum die Stadt der Zukunft besonders grün wird

John E. Fernández forscht am MIT in Boston zum Thema "Urbaner Stoffwechsel" und war Keynote-Speaker der MIT Europe Conference 2023.


Wer diesen Beitrag lesen sollte:

  • Weiterdenker:innen
  • Game Changer:innen

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Minuten

AutorIn: Eva Baumgardinger

MIT-Professor John E. Fernández i
Lafarge Holcim Foundation

John E. Fernández

Wie viel Energie, Wasser, Lebensmittel und Materialien verbraucht eine Stadt, wie viel Abfall produziert sie? Das genau zu messen und zu analysieren, ist notwendig für den Übergang zur Klimaneutralität, sagt MIT-Professor John E. Fernández.

Der Architekt John E. Fernández ist Architekturprofessor am Massachusetts Institute of Technology. Uns hat er erklärt, warum die Baubranche ein wichtiger Hebel für eine klimaneutrale Zukunft ist und wo Landwirtschaft in der Stadt wirklich funktioniert.

Die Bauindustrie verursacht fast 40 % Prozent der CO₂-Emissionen weltweit. Was können Architekten beitragen, um sie klimafreundlicher zu gestalten?

John E. Fernández: Architekt:innen sind in einer idealen Position, echte Klimaschutzmaßnahmen voranzutreiben. Die wichtigsten Entscheidungen bei den Themen Kohlenstoffgehalt und -emissionen sowie Energie werden in den frühesten Phasen des Entwurfsprozesses getroffen. Damit können Innovationen auf den Baustoff- und Produktmärkten vorangetrieben werden, sodass eine Reduzierung der CO₂-Emissionen für jeden am Bau beteiligten Lieferanten und Auftragnehmer Priorität hat. Auch durch Maßnahmen zum Schutz von Gebäuden und Bewohnern können Architekt:innen viel beitragen und Gebäude so planen, dass sie robuster gegen Hitze, Überschwemmungen und andere extreme Wetterereignisse machen.

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Was sind Best-Practice-Beispiele, bei denen das bereits funktioniert?

John E. Fernández: Europa und insbesondere die mittel- und nordeuropäischen Länder sind seit vielen Jahrzehnten mit Passivhäusern und Netto-Nullenergiegebäuden führend im Bereich kohlenstoffarmes, energieeffizientes und nachhaltiges Bauen. Auch die Vereinigten Staaten haben jetzt das vom United States Green Building Council etablierte LEED-Bewertungssystem (Leadership in Energy and Environmental Design) umgesetzt. Hier in Boston zum Beispiel wird das Winthrop Center, ein Gewerbe- und Wohnturm in der Innenstadt, bald das größte Passivhaus-zertifizierte Bürogebäude der USA sein. Aber die größte Herausforderung liegt jetzt in den Entwicklungsländern, wo in den kommenden Jahrzehnten die meisten neuen Gebäude und die städtische Infrastruktur gebaut werden und der Anstieg des Energieverbrauchs am ausgeprägtesten sein wird.

Die UN schätzt, dass bis 2050 zwei Drittel der Weltbevölkerung in Städten leben werden. Was braucht die Stadt der Zukunft noch, um gut zu funktionieren?

John E. Fernández: Die Städte der Zukunft müssen alle Ressourcen messen und verwalten, die nötig sind, um ihre Wirtschaft und Bewohner zu versorgen. Zu wissen, wie viel Energie, Wasser, Lebensmittel und Materialien verbraucht und wie viel Abfall produziert wird, ist für den Übergang zu einer nachhaltigeren und umweltfreundlicheren Situation unerlässlich.

Der gewerbliche Büromarkt befindet sich durch den Paradigmenwechsel beim Homeoffice in einer Krise und wird voraussichtlich weiterhin einen erheblichen Nachfragerückgang erfahren.

John E. Fernández, Architekturprofessor am MIT

Der Bereich Urban Metabolism, an dem ich maßgeblich mitgewirkt habe und auch eine Forschungsgruppe am MIT leite, versucht mit Materialflussanalysen die Ressourcenintensität von Städten zu ermitteln und gleichzeitig Dienstleistungen zu verbessern. Zum Beispiel funktioniert urbane Landwirtschaft in Städten mit einer bestimmten Dichte, einem bestimmten Klima und einem bestimmten Entwicklungsstand – wie Singapur – sehr gut. Städtische Kreislaufwirtschaften sind auch für Städte mit hoher Dichte wie New York City sehr vielversprechend, während dezentrale Systeme zur Wassergewinnung und gemeindeeigene Solarkraftwerke besonders effektiv für Städte in Entwicklungsregionen der Welt sind.

Welche Branchen und unternehmerischen Möglichkeiten ergeben sich in einer stärker urbanisierten Welt? Welche Branchen werden höchstwahrscheinlich verschwinden? 

John E. Fernández: Der gewerbliche Büromarkt befindet sich durch den Paradigmenwechsel beim Homeoffice in einer Krise und wird voraussichtlich weiterhin einen erheblichen Nachfragerückgang erfahren. Natürlich sind auch Unternehmen für fossile Brennstoffe einem harten Wettbewerb durch erneuerbare Energien, dezentrale Stromerzeugung und Energiespeicherung im Netzmaßstab ausgesetzt. Umgekehrt werden Unternehmen profitieren, die neue Mineralien- und Materialien für die Energieversorgung in einer kohlenstoffarmen Welt anbieten. Ein weiteres Beispiel für eine aufstrebende Industrie sind elektrische Speichersysteme und Managementsysteme für erneuerbare Energien, einschließlich Elektrofahrzeuge. Man kann davon ausgehen, dass Wasserstoff ein wichtiger Kraftstoff für die Luftfahrt, die Schifffahrt, den Schwerlastverkehr, Gebäude und Hochtemperaturindustrien wie die Stahlerzeugung sein wird.

Das Wichtigste in Kürze:

  • Der US-amerikanische Architekturprofessor John E. Fernández beschäftigt sich damit, wie Gebäude und Städte ressourcenschonenden gestaltet werden können.
  • Architekt:innen spielen dabei eine wichtige Rolle, die Bauindustrie verursacht fast 40 % Prozent der CO₂-Emissionen weltweit.
  • Landwirtschaft, innovative Baumaterialien und dezentrale Energieversorgung werden die Stadt von morgen prägen.
  • Bei der MIT Europe Conference der WKÖ am 29. März hält Fernández eine Keynote.