Weniger Kinder, weniger Arbeitskräfte, weniger Arbeitszeit, weniger Produktivität – wie soll das Wohlstand und Pensionen sichern? Arbeit – auch Überstunden – müssen wieder attraktiver werden, fordert WKÖ-Experte Rolf Gleißner.
Am Beginn steht eine leere Kinderkrippe. Seit 50 Jahren Geburtenflaute und 2023 sogar ein Rekordtief bei Geburten. Das kümmert aber niemanden, weil wir alle dem "Present Bias" unterliegen: Die Gegenwart zählt, je ferner die Zukunft, desto unwichtiger wird sie. Menschen ohne Kinder haben heute mehr Einkommen. Dass es übermorgen vielleicht niemanden gibt, der ihre Pension zahlt, interessiert heute nicht. Detto bei der Arbeitszeit: Wer heute Teilzeit arbeitet, hat heute mehr Zeit für anderes und nimmt dafür ein geringeres Einkommen in Kauf. Was kümmert da eine geringere Pension in (ferner) Zukunft?
Der "Present Bias" der Vielen wirkt sich auf das Ganze aus: Die Baby-Boomer-Jahrgänge gehen in Pension, geburtenschwächere rücken nach. Die Folgen sind bekannt: Arbeitskräftemangel und Druck im Pensionssystem. Denn 1996 kamen auf eine Pensionistin bzw. einen Pensionisten noch vier Erwerbstätige, heute sind es drei, 2040 werden es nur mehr zwei sein. Aus der Alterspyramide wurde optisch ein instabiler "Alterstannenbaum".
Seit der Arbeitszeitgesetznovelle 2018 sind zwar mehr Überstunden möglich, tatsächlich wurden sie aber weniger!
Nun beruht der Wohlstand nicht nur auf der Zahl der Arbeitskräfte, sondern auch auf geleisteter Arbeitszeit und Produktivität. Doch reißt die Arbeitszeit uns nicht heraus, im Gegenteil: Die Österreicherinnen und Österreicher arbeiten heute um 1,4 Stunden pro Woche weniger als 2019 und fast 5 Stunden weniger als 2004. Die Gründe: Mehr Teilzeit, und wir leisten fast eine halbe Überstunde pro Woche weniger als 2017. Das heißt, seit der Arbeitszeitgesetznovelle 2018 sind zwar mehr Überstunden möglich, tatsächlich wurden sie aber weniger! Aus diesem Grund liegt das Arbeitsvolumen heute immer noch unter dem Niveau von vor der Corona-Pandemie. Dazu kommt, dass wir heute um 11 Jahre länger leben als vor 50 Jahren, aber wie damals mit 61 Jahren in Pension gehen. Wir verbringen nur ca. 7% der gesamten Lebenszeit am Arbeitsplatz – weniger als vor Fernseher und Smartphone.
Auch der dritte Faktor Produktivität hilft uns leider nicht: Trotz Digitalisierung und KI ist die Produktivität pro Kopf in den vergangenen 10 Jahren nicht gestiegen. Die Produktivität je Stunde ist zwar um 6% gestiegen, seit 2022 aber zurückgegangen, weil viele Betriebe trotz Rezession an ihren Arbeitskräften festhalten.
Weniger Kinder, weniger Arbeitskräfte, weniger Arbeitszeit, weniger Produktivität bedeuten, dass das Fundament für Wohlstand und Sozialstaat bröckelt. Gleichzeitig steigt der Druck darauf, konkret die Zahl der Pensionistinnen und Pensionisten sowie der Pflegebedürftigen.
Dieser Kommentar ist erstmalig am 15. Mai 2024 unter dem Titel "Wir leben auf Kosten der Zukunft! Warum wir länger arbeiten sollten" in der Tageszeitung "Der Standard" erschienen.
Nun sollen Menschen frei über Arbeitszeit, Kinder, Pensionsantritt, etc. entscheiden. Die Politik muss aber dem "Present Bias" trotzen und Anreize setzen, um das Fundament für die Zukunft zu stärken: Eine Arbeitszeitverkürzung würde es weiter schwächen. Lockrufe, dadurch steige die Produktivität und in vier Arbeitstagen könne quasi das Gleiche geleistet werden, wie in fünf, sind nicht glaubwürdig – wird doch gleichzeitig die hohe Arbeitsdichte beklagt.
Arbeiten muss einfach attraktiver werden: Mehrarbeit lohnt sich oft nicht, weil die drittstärkste Abgabenkeule in der OECD zuschlägt und gleichzeitig Sozialleistungen wegfallen. Kinderbetreuung ist auszubauen, aber kein Allheilmittel: Denn die Mehrheit der Teilzeitbeschäftigten hat keine Betreuungspflichten. Es braucht mehr Anreize für Überstunden und längeres Arbeiten im Alter. Und last, not least: Die Erkenntnis, dass Kinder unsere Zukunft sind!
Das Wichtigste in Kürze:
- Das Nachrücken geburtenschwächerer Jahrgänge in den Arbeitsmarkt sorgt für Arbeitskräftemangel und Druck im Pensionssystem.
- Zusätzlich arbeiten Österreicherinnen und Österreicher heute um 1,4 Stunden pro Woche weniger als 2019 und fast 5 Stunden weniger als 2004.
- Die Produktivität je Stunde ist zwar um 6% gestiegen, seit 2022 aber zurückgegangen, weil viele Betriebe trotz Rezession an ihren Arbeitskräften festhalten.
- Deswegen fordert WKÖ-Experte Rolf Gleißner, dass Arbeiten einfach attraktiver werden muss: Mehrarbeit lohnt sich oft nicht, weil die drittstärkste Abgabenkeule in der OECD zuschlägt und gleichzeitig Sozialleistungen wegfallen.