Der europäische Arbeitsmarkt sieht sich aktuell gleich mit einer ganzen Reihe an Herausforderungen konfrontiert. Welche das sind und wie die EU damit umgeht – darüber haben wir mit EWSA-Präsidentin Christa Schweng gesprochen.
Eine fundiertere Gesprächspartnerin zum europäischen Arbeitsmarkt ist schwer zu finden: Seit 22 Jahren ist Christa Schweng Mitglied des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA), seit Oktober 2020 sogar dessen Präsidentin. Wo sieht die Expertin die wichtigsten Herausforderungen, mit denen der europäische Arbeitsmarkt aktuell zu kämpfen hat? "Einerseits Megatrends wie Digitalisierung, der Übergang zu einer kohlenstoffneutralen Wirtschaft und die demografische Entwicklung, die zu Arbeitskräftemangel führt", erklärt Schweng. "Dazu kommen noch die Nachwirkungen der Corona-Pandemie und die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine."
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Jetzt zum Newsletter anmelden!Großes Arbeitskräftepotenzial in Europa
Es gebe zwar, so Schweng, ein großes Arbeitskräftepotenzial in Europa. Dieses müsse aber besser ausgeschöpft werden. Dafür würden zum Beispiel rund 128 Millionen Europäer:innen eine Höher- oder Umschulung benötigen. "Die Fähigkeiten der Beschäftigten müssen der Nachfrage am Arbeitsmarkt entsprechen und damit die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und insbesondere der KMU sicherstellen. Nur so können Unternehmen weiterhin Arbeitsplätze und damit Wohlstand schaffen", erklärt Schweng. Auch die Fragen einer gezielten Arbeitsmigration aus Drittstaaten müssten in Angriff genommen werden. Der geplante EU-Talentpool könnte dabei eine wichtige Rolle spielen. Wir brauchen mehr Arbeitskräfte, um die EU-Wirtschaft am Laufen zu halten, da der Mangel an Arbeitskräften zunimmt.
Differenziertes Bild in Europa
Ein genauer Blick auf die Lage in den EU-Mitgliedsstaaten offenbart ein durchaus differenziertes Bild: Während die Arbeitslosenrate im Dezember 2020 etwa in Tschechien nur bei 2,3 % lag, war sie im selben Zeitraum in Spanien bei 13,1 %, die Jugendarbeitslosigkeit lag sogar bei 29,8 %. Zusätzlich gebe es, analysiert Arbeitsmarkt-Expertin Schweng, ein großes Stadt-Land-Gefälle. "Das kann vielleicht kurzfristig mittels Arbeitskräftemobilität vermindert werden, langfristig jedoch nur mit Ausbau der entsprechenden Infrastruktur und einem besseren Zugang zu allgemeiner und beruflicher Bildung."
Eine bessere Inklusion am Arbeitsmarkt ist nicht nur eine Frage der Fairness, sondern auch des Wirtschaftswachstums.
Mehr Inklusion auf den Arbeitsmärkten wichtig
Was rät die EWSA-Präsidentin den Mitgliedsstaaten, um das Arbeitskräftepotenzial ausschöpfen zu können? Die Arbeitsmärkte müssten inklusiver gestaltet werden für
- ältere Arbeitende,
- Menschen mit Migrationshintergrund,
- Menschen mit Behinderungen und
- junge Arbeitnehmer:innen.
Zudem fordert Schweng die Beseitigung geschlechtsspezifischer Ungleichheiten in Bildung und Beschäftigung, den Abbau von Barrieren und eine bessere Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt – sei es als Arbeitnehmerin oder als Unternehmerin. "Dies ist nicht nur eine Frage der Fairness, sondern auch des Wirtschaftswachstums: Nach Angaben des Europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen würde die Beschäftigung von mehr Frauen in Bereichen wie Wissenschaft, Technologie, Ingenieurwesen und Mathematik das BIP der EU bis 2050 um 610 Milliarden Euro steigern."
Das Wichtigste in Kürze:
- Digitalisierung, Dekarbonisierung und Demografie sowie die Nach- und Auswirkungen von Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg stellen den europäischen Arbeitsmarkt vor große Herausforderungen.
- Zwar gibt es ein großes Arbeitskräftepotenzial in Europa, dieses muss aber besser ausgeschöpft werden - etwa durch Höher- oder Umschulungen.
- Je nach Mitgliedsstaat gilt es, unterschiedliche Prioritäten zu setzen.
- Nach Ansicht von EWSA-Präsidentin Christa Schweng müssten aber in ganz Europa die Inklusion am Arbeitsmarkt ausgebaut werden.