Es braucht Reformen in der Kinderbetreuung und der pädagogischen Ausbildung, um Fachkräfte zu sichern und Eltern zu entlasten. Welche Maßnahmen helfen, erklärt die Bildungsexpertin Veronika Michitsch im MARI€-Interview.
Auf der einen Seite: Die Öffnungszeiten von Kinderbetreuungseinrichtungen in Österreich. Auf der anderen Seite: Die Arbeitszeiten der Eltern. Hier braucht es einen Spagat, der aber allzu oft nicht gelingt. Die Folgen sind eine überdurchschnittlich hohe Teilzeitquote von Müttern und ein grassierender Fachkräftemangel in der Elementarpädagogik. Das Berufsfeld kämpft mit Stress, Überforderung und prekären Arbeitsbedingungen. Was andere EU-Länder im Bereich Kinderbetreuung besser machen, haben wir für den Beitrag "Kinderbetreuung: Das kann sich Österreich von anderen abschauen" recherchiert.
Im MARI€-Interview erklärt Veronika Michitsch vom Institut für Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung an der Universität Klagenfurt, was die Kinderbetreuung in Österreich braucht:
Warum ist die Betreuungsquote von Kindern unter drei Jahren in Österreich so niedrig und welche Maßnahmen könnten ergriffen werden, um sie zu erhöhen?
Veronika Michitsch: Die Betreuungsquote ist in Österreich niedrig, weil wir immer noch keine echte Vereinbarkeit von Beruf und Familie erreicht haben. Wir brauchen unbedingt flexiblere und individualisierte Kinderbetreuungsangebote, die den Anforderungen des Arbeitsmarktes entsprechen. Dazu gehört auch die Angleichung der Öffnungszeiten von elementarpädagogischen Bildungseinrichtungen an die des Handels und eine Randzeitenbetreuung, die den Bedürfnissen der Eltern gerecht wird.
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Jetzt zum Newsletter anmelden!Welche Auswirkungen hat die aktuelle Situation der Kinderbetreuung in Österreich auf das elementarpädagogische Personal? Was könnte getan werden, um Arbeitsbedingungen und Zufriedenheit zu verbessern?
"Der aktuelle Zustand der Kinderbetreuung in Österreich wirkt sich natürlich auch auf das Personal in diesem Sektor aus. Um Arbeitsbedingungen und Zufriedenheit zu verbessern, müssen Rahmenbedingungen reguliert und ein einheitlicher Fachkraft-Kind-Schlüssel in ganz Österreich eingeführt werden – aktuell kommen auf eine Fachkraft im Durchschnitt sieben Kinder unter drei Jahren, das ist zu viel. Unter den aktuellen Voraussetzungen können wir den Bedarf an qualifizierten Fachkräften nicht decken – das zeigt auch unsere im Auftrag des Bildungsministeriums erstellte Studie ganz eindeutig."
Ein Kind, welches im frühen Alter eine gute Bildung und Betreuung sowie haltgebende Beziehungsstrukturen erlebt, wächst zu einem wirtschaftskräftigen Mitglied unserer Gesellschaft heran – und diese Investition lohnt sich.
"In der Elementarpädagogik braucht es attraktive Aufstiegsmöglichkeiten, Boni, regelmäßige Coachings und Supervisionen sowie genügend Zeit für Weiterbildungen. Ein umfassendes Onboarding für Berufseinsteiger:innen, die realistische Darstellung des Berufsbildes und eine angemessene Bezahlung sind unbedingt erforderlich, um die Attraktivität dieses Berufs zu fördern. Zudem braucht es umfassende finanzielle Unterstützungssysteme für Kinderbildungseinrichtungen, denn die Eltern können die Kosten der Kinderbetreuung oftmals nicht stemmen."
Wie könnte die Attraktivität des Berufs im Kinderbetreuungsbereich gesteigert werden, um mehr qualifizierte Fachkräfte anzuziehen? Wie lässt sich der Personalstand erhöhen?
"Der Ausbildungseinstieg in den Beruf mit 14 Jahren ist zu früh, denn in diesem Alter haben junge Menschen noch nicht die Reife und die Blickweite, um die Realitäten ihrer Berufswahl nachzuvollziehen. Wir sollten verstärkt einen Fokus auf Bachelor- und Masterstudiengänge legen und auf Absolvent:innen von Kollegs, die sich aufgrund ihrer Reife ganz bewusst für diesen Beruf entscheiden. Auch Berufsrückkehrer:innen zu gewinnen, wäre wichtig.
Über digitale Netzwerke und soziale Medien können wir Aufklärungsarbeit leisten und Informationen zum Beruf und zu seinen Ausbildungsmöglichkeiten gesammelt zur Verfügung stellen, das muss viel mehr genutzt werden. Und was auch entscheidend ist: Viele Kinder sprechen im Elternhaus kein Deutsch, und Erzieher:innen, die mehrere Sprachen sprechen, sind von unschätzbarem Wert für uns. Das müssen wir aktiv fördern, denn am Ende des Tages gilt es, die vielseitigen Bedürfnisse der Kinder zu bedienen und ihre Ressourcen, wie bspw. Mehrsprachigkeit, zu fördern."
Das Wichtigste in Kürze
- Die Angebote der Kinderbetreuung in Österreich halten nicht mit der wirtschaftlichen Realität Schritt.
- Die Bildungsexpertin Veronika Michitsch fordert deshalb unter anderem die Angleichung der Öffnungszeiten von elementaren Bildungseinrichtungen an die Berufsrealitäten der Eltern.
- Um den Fachkräftemangel zu lindern, braucht es umfassende Reformen in der Berufsausbildung, flexible Arbeitszeitmodelle für pädagogische Fachkräfte sowie einen einheitlichen Fachkraft-Kind-Schlüssel in ganz Österreich.