Lindner warnt: Reformstau gefährdet Europas Wohlstand

Deutschlands Ex-Finanzminister über Kapitalmarktunion, KMU-Chancen & Bürokratieabbau in Europa.


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5 Minuten

AutorIn: Peter Draxler

Christian Lindner i
Laurence Chaperon

Was tun gegen Europas Reformstau? Der deutsche Ex-Finanzminister und Exporttag-Keynote-Speaker Christian Lindner über Kapitalmarkt, KMU & die Zukunft Europas.

Europa steht wirtschaftlich und geopolitisch unter Druck – vom Klimawandel über Handelskonflikte bis hin zur Digitalisierung. Im Gespräch mit Christian Lindner, dem ehemaligen deutschen Finanzminister, wird klar: Jetzt braucht es strategische Reformen, weniger Bürokratie und mutige Schritte zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit. Welche Lehren Österreich aus Deutschland ziehen kann, was KMU konkret brauchen und wo Chancen trotz Krise liegen, das erklärt Lindner im MARI€-Interview.

Europas wirtschaftspolitische Herausforderungen

Herr Lindner, wir erleben derzeit eine Phase massiver geopolitischer Veränderungen. Welche wirtschaftspolitischen Antworten braucht Europa, um unter diesen Bedingungen resilient und wettbewerbsfähig zu bleiben?

Christian Lindner: Europa steht unter geopolitischem Druck, doch ebenso groß ist der Reformstau im Inneren: Wachstumsflaute, Haushaltskrisen, hohe Energiekosten und Bürokratie bremsen unsere Wirtschaft. Hinzu kommen die Folgen amerikanischer Zollpolitik und Innovationsrückstände. Die Antwort liegt in unseren Händen: Kapitalmarktunion vollenden, Bürokratie abbauen, privates Kapital mobilisieren – für mehr Resilienz und Wettbewerbsfähigkeit.

Veranstaltungstipp: Exporttag 25 am 3. Juni 2025

Noch mehr Expertise von Herfried Münkler gibt es im Rahmen seiner Keynote "Geopolitische Resilienz im 21. Jahrhundert: Sicherheit und Wirtschaft im Gleichgewicht" am Exporttag 25 am 3. Juni 2025 in der Wirtschaftskammer Österreich.

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Was Österreich von Deutschland lernen kann

In Ihrer Keynote am Exporttag der WKÖ sprechen Sie über strategische Reformen und konsequenten Bürokratieabbau als Wachstumstreiber. Welche konkreten Schritte haben sich aus Ihrer Sicht in Deutschland bewährt – und was können andere Länder wie Österreich davon lernen?

Lindner: Der Ursprung überbordender Bürokratie in Deutschland liegt häufig in der mangelnden politischen Priorisierung zentraler Ziele. Wo jedoch klare Zielsetzungen bestehen, lassen sich Prozesse erheblich beschleunigen. Ein Beispiel: Nach dem Ausfall russischer Gaslieferungen gelang es uns, in nur zehn Monaten ein schwimmendes LNG-Terminal zu planen und zu errichten – eine Blaupause für staatliche Infrastrukturvorhaben in der Bundesrepublik. Das zeigt: Klare Zielvorgaben und entschlossenes Handeln sind entscheidend. Angesichts der wirtschaftlichen Krisenlage muss die Trendumkehr zur Leitlinie allen politischen Handelns werden – vielfältige, teils widersprüchliche Zielsetzungen sind in dieser Lage schlicht nicht mehr tragfähig.

Transformation durch Readiness 2030 & Clean Industrial Deal

Initiativen wie "Readiness 2030" oder der "Clean Industrial Deal" zeigen den Willen Europas zur Transformation. Wie können insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU) - das Rückgrat der heimischen Wirtschaft - von diesen Entwicklungen profitieren?

Lindner: Initiativen wie Readiness 2030 oder der Clean Industrial Deal verfolgen die richtigen Ziele: mehr sicherheitspolitische Resilienz und die Dekarbonisierung der europäischen Industrie. Auch KMU können kurzfristig an den bereitgestellten Fördermitteln wirtschaftlich teilhaben. Doch solange Bürokratie, hohe Energiepreise und ein fragmentierter Kapitalmarkt ihre Wettbewerbsfähigkeit hemmen, bleibt es bei Symptombehandlung. Transformation bedeutet, an die Ursachen zu gehen – mit Strukturreformen, die Freiräume für Wachstum und Innovation schaffen.

Chancen für österreichische Unternehmen

Deutschland ist und bleibt Österreichs wichtigster Handelspartner. Wie beurteilen Sie die aktuelle wirtschaftliche Lage in Deutschland – und welche Chancen eröffnen sich daraus für österreichische Betriebe?

Lindner: Die wirtschaftliche Lage in Deutschland ist zweifellos herausfordernd. Ausbleibendes Wachstum führt zu Zurückhaltung bei Investitionen, Beschäftigung und Konsum – das zeigt sich auch im rückläufigen Handelsvolumen mit Österreich. Offen bleibt, ob die fiskalpolitische Entscheidung der neuen Bundesregierung, ihren haushälterischen Spielraum für umfangreiche, schuldenfinanzierte Infrastrukturinvestitionen zu nutzen, von den dringend notwendigen Strukturreformen flankiert wird. Gelingt dieser Schulterschluss, entstehen daraus auch wirtschaftliche Potenziale für österreichische Unternehmen – insbesondere in der Industrie und im Bauwesen. Für beide Länder ist zu hoffen, dass diese Wette aufgeht.

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WKÖ/DMC

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Lindners Rat an exportorientierte KMU

Was ist Ihr wichtigster Rat an exportorientierte Unternehmer:innen in Österreich, die trotz globaler Unsicherheiten neue Märkte erschließen wollen?

Lindner: Mein Rat: Strategische Marktdiversifizierung ist heute kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit – gerade für eine traditionell europa-lastige Exportwirtschaft wie die Österreichs. Die globalen Unsicherheiten sprechen für breitere Absatzmärkte. Gleichzeitig bieten sich auch Chancen im unmittelbaren Umfeld: Die massiven Infrastrukturinvestitionen der deutschen Bundesregierung eröffnen insbesondere im Hoch- und Tiefbau neue Potenziale – vorausgesetzt, man positioniert sich frühzeitig und erkennt die politischen Prioritäten.

TIPP:  Unterstützung für deinen Exporterfolg

Damit der erste Schritt über die Grenze leichter fällt, unterstützt die Internationalisierungsoffensive go-international österreichische Unternehmen bei ihren Exportgeschäften. Nähere Informationen findest du auf go-international.at. Die Expert:innen in den Landeskammern beraten dich gerne auch persönlich.

Das Wichtigste in Kürze:

  • Reformdruck in Europa: Kapitalmarktunion, Bürokratieabbau und private Investitionen sind laut Lindner entscheidend für Resilienz und Wettbewerbsfähigkeit.
  • Bürokratieabbau durch Priorisierung: Das Beispiel LNG-Terminal zeigt, wie klar definierte Ziele Projekte drastisch beschleunigen können.
  • Transformation mit KMU-Fokus: Förderinitiativen wie "Readiness 2030" sind wichtig, aber ohne Strukturreformen bleibt ihr Effekt begrenzt.
  • Deutsche Konjunktur als Chance: Trotz Flaute könnten schuldenfinanzierte Infrastrukturprogramme der deutschen Bundesregierung Impulse auch für österreichische Betriebe bringen.
  • Rat für Exportierende: Strategische Marktdiversifizierung ist essenziell – auch innerhalb Europas tun sich neue Geschäftsmöglichkeiten auf.