Warum Kinderbetreuung ein Reframing braucht

So kommen wir von der "Fremdbetreuung" zur frühkindlichen Bildung.


Wer diesen Beitrag lesen sollte:

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Lesedauer:

3 Minuten

AutorIn: Connie Wagenhofer

Kinder spielen in einer Betreuungsgruppe i
lordn | stock.adobe.com

Tief sitzende Normen verstellen die Sicht auf das, was in anderen Ländern schon Realität ist: Kinderbetreuung fördert Kinder ‐ und ihre Mütter.

In Dänemark sind die Kinderbetreuungsquoten doppelt so hoch wie in Österreich. Das hat mit unseren sozialen und kulturellen Normen zu tun, aber auch mit dem (teils schlechten) Image, das Kinderbetreuung hierzulande hat.

Große Skepsis in Österreich

Während die österreichischen Befragten einer Wertestudie der Aussage "Kinder leiden darunter, wenn die Mutter berufstätig ist" beinahe zu 50 % zustimmen, sind es in Dänemark lediglich 9 %.

Kein Wunder, dass sich viele Mütter schuldig fühlen, wenn sie ihre Kinder immer wieder zu spät vom Kindergarten abholen, obwohl sie sich zwischen Arbeit, Hausarbeit und Erziehung eh schon zerreiben. 

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WKÖ/DMC

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"Frühkindliche Bildung" statt "Fremdbetreuung"

"In Dänemark ist ab einem sehr frühen Alter schon ganz klar, dass das Kind in eine institutionelle Bildungseinrichtung geht", sagt die Wissenschaftlerin Eva-Maria Schmidt. Dabei würden nicht nur die Kinder, sondern auch die Eltern gebildet – in Kursen und mit Handbüchern für Erziehungsfragen.

In Österreich hingegen spricht man häufig noch von "Fremdbetreuung", wenn’s um die Krippe oder den Kindergarten geht. "Da schwingt die Idee, dass es dabei um eine Überbrückung geht, schon stark mit", sagt Schmidt. 

Dr. Eva-Maria Schmidt, Soziologin und Ethnologin i
Christine Geserick

Mit einem besseren Image der Kinderbetreuung hätten wir nicht mehr gut 70 % der Mütter in Teilzeit und 90 % der Väter in Vollzeit.

Eva-Maria Schmidt, Soziologin und Ethnologin

Kindergarten als Bereicherung, nicht als Vernachlässigung sehen

PR- und Image-Spezialistin Katharina Riedl würde für ein Reframing genau da ansetzen: "Man muss den Spin auf die Bereicherung durch Dritte legen, um das Bild loszuwerden, Kinderbetreuung sei eine Vernachlässigung durch die Eltern."

Man müsse betonen, dass frühkindliche Pädagogik den Kindern verschiedene Sicht- und Herangehensweisen bringe und damit ein offeneres Weltbild. Dass sich die Investition in Elementarpädagogik lohnen, bestätigen auch Bildungsexperten.

"Eine Kampagne dazu könnte auf verschiedensten Medienkanälen Eltern, Kinder und Pädagoginnen und Pädagogen zeigen, die ihre Perspektive als Testimonials einbringen", sagt Riedl, "bei einem so emotionalen Thema kann man dazu viel an Two-Way-Kommunikation anbieten und ein breites Involvement auf unterschiedlichsten Plattformen erreichen."

Katharina Riedl, Gründerin der PR-Agentur Image Angels i
Inman

Wir müssen das Bild loswerden, dass Kinderbetreuung eine Vernachlässigung durch die Eltern ist.

Katharina Riedl, Agenturinhaberin von Image Angels

Voraussetzungen müssen geschaffen werden

Involvement und ein breiter Diskurs werden wahrscheinlich nötig sein, um in Sachen frühkindliche Bildung etwas zu bewegen.

"Es ist ein emotional aufgeladenes Thema und ein sehr komplexes Feld mit unklarem Ziel, oft auch in ökonomischer Hinsicht", sagt Schmidt. Man wolle zwar keine Frauen, die wegen vieler Jahre Teilzeit in Altersarmut leben und keine Männer, die nach Trennungen Unterhalt zahlen müssen. Doch politisch seien die Signale nicht immer klar.

"In Österreich ist die Politik eher familisierend. Es ist eines der wenigen Länder, die die Karenz in Monaten zählen und nicht in Wochen", sagt Schmidt. Wahlfreiheit – beim Kind bleiben oder die Karriere verfolgen – gilt als hohes Gut. Die Folgen tragen meist die Frauen. 

Gerechter aufgeteilte Care-Arbeit als Bedingung und Folge

"Hätte Kinderbetreuung ein besseres Image, hätten wir nicht mehr gut 70 % der Mütter in Teilzeit und gut 90 % der Väter, die Vollzeit arbeiten. Das sind mehr als unter Männern ohne Kinder", sagt Schmidt.

Wäre die Care-Arbeit ernsthaft zwischen Frauen und Männern aufgeteilt, würde die Sache ziemlich sicher anders aussehen. Doch die Realität ist: Frauen verrichten laut Statistik Austria im Schnitt 3:42 Stunden Hausarbeit, bei den Männern sind es nur 1:58 Stunden. 

Besseres Ansehen des pädagogischen Personals nötig

In Österreich gilt nach Schmidts Forschungsergebnissen die tiefe Überzeugung, dass die Mutter das Beste für ihr Kind ist. Abgesehen von vorherrschenden Rollenvorstellungen spielt dabei auch das Ansehen der Pädagoginnen und Pädagogen eine Rolle. „Bei den Ursachen dafür greifen viele Aspekte ineinander, beispielsweise die Qualität der Kinderbetreuung“, sagt Schmidt. 

Betreuungsschlüssel, der individuelle Förderung möglich macht

Ein mindestens ebenso wichtiger Faktor ist der Betreuungsschlüssel. Während sich in Österreich eine Pädagogin bzw. ein Pädagoge unterstützt von einer Assistenz um Gruppen bis zu 25 Kinder kümmern muss, sind es im oben zitierten Dänemark nicht einmal 6 Kinder, die auf eine Betreuungsperson kommen, unter 3 Jahren sind es sogar weniger als 3 Kinder.

Je weniger Kinder auf eine gut qualifizierte Person kommen, umso besser die Qualität der pädagogischen Leistung und der individuellen Förderung jedes Kindes. "Das Bildungsversprechen, dass Kinderbetreuung eine Bereicherung für das Kind ist, eine individuelle Förderung, muss eine authentische Botschaft sein, das muss man natürlich auch einlösen", sagt Riedl. 

Das Wichtigste in Kürze

  • Eine hohe Kinderbetreuungsquote kann mehr Frauen in Vollzeit bringen und damit vor Altersarmut schützen.
  • Tief sitzende gesellschaftliche Normen ("eine Mutter soll so lange wie möglich daheim beim Kind bleiben") ändern sich nicht über Nacht.
  • Worte wie "Fremdbetreuung" verfestigen das eher schlechte Image, das Kinderbetreuung in Österreich hat.
  • Kinderbetreuung durch gut ausgebildete Pädagoginnen und Pädagogen kann auch als Bereicherung, als wesentlicher Teil der frühkindlichen Bildung, gesehen werden.
  • Authentische Testimonials können zur Änderung der Sichtweise beitragen.
  • Ein höheres Ansehen der Kinderbetreuung bedingt ein höheres Ansehen der Pädagoginnen und Pädagogen.